© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Blick in die Medien
Drehbuch-Realität ist hübscher Nebenjob
Toni Roidl

Scripted Reality“ heißt etwa „Realität nach Drehbuch“. Gemeint sind angebliche Dokus, die aber keineswegs spontane Lebenswirklichkeit zeigen, sondern vollständig nach Anweisung ablaufen. Zum Beispiel Gerichts- oder Konfliktserien – allesamt von vorne bis hinten inszeniert.

Die hanebüchensten dieser Klischee-Paraden sind „Familien im Brennpunkt“ und „Mitten im Leben“. Letztere stellt den Alltag im Hartz-IV-Milieu dar bzw. das, was sich Drehbuchschreiber darunter vorstellen: Da futtert der ungepflegte Unterschicht-Darsteller statt Sushi vom Bauch eines nackten Luxus-Callgirls Spaghetti Bolognese auf der adipösen Feinripp-Gattin.

Aber es wird niemand gezwungen, daran mitzuwirken. Die Laiendarsteller bekommen für ihre Vorführung gutes Geld. Für die Inszenierung eines dramatischen Krachs zwischen Kindern und Eltern gibt’s über 1.000 Euro für die Familienkasse.

Nun weinen die Mitwirkenden über die Folgen: Hohn, Spott, Mobbing. Die taz zerfließt vor Mitleid und zitiert Teilnehmerinnen aus „Familien im Brennpunkt“: „Es war ein Riesenfehler, da mitzumachen“, klagt die Tochter. „Ich dachte immer, das ist alles echt“, sagt die Mutter. Tja, dumm gelaufen.

Da die Sender das Serienfutter fürs TV-Prekariat am Fließband produzieren, werden die Darsteller gerne weitergereicht, untereinander ausgetauscht und wiederverwertet. Wer einmal dabei ist, bekommt meist immer wieder Anrufe und generiert damit einen hübschen Nebenverdienst. „Das Geld hat uns schon gelockt“, sagt die Mutter. Aber wenn sie plötzlich auf der Straße und im Internet scheel angesehen werden, beschweren sie sich über die Ausbeutung durch die Sender.

Das wirklich Erschreckende daran ist: Fast 80 Prozent der jungen Fernsehzuschauer glauben, daß die Scripted-Reality-Sendungen authentisch sind! Bei der Zielgruppe im geschäftsfähigen Alter scheint das nicht viel besser zu sein.

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