© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Friderizianisch I: Die Äußerungen von Christian Wulff über Friedrich erinnern zwangsläufig an das, was Jacob Burckhardt zum „Knirpstum“ angesichts menschlicher Größe gesagt hat.

In ihrer jüngsten Ausgabe berichtet die französische Zeitschrift Eléments über Untersuchungen in den USA, denen zufolge jede vierte Amerikanerin Opfer eines sexuell motivierten Angriffs wird, eines Vergewaltigungsversuchs oder einer Vergewaltigung. Die Daten differieren allerdings stark, bezogen auf die ethnische Struktur der sexuellen Beziehungen, in denen die Frauen leben: bei multirassischen Verbindungen steigt der Anteil auf 53,8 Prozent, bei Schwarzen auf 43,7 Prozent, bei Hispanics auf 37,1 Prozent, bei Weißen auf 34,6, während er bei Bürgern asiatischer Herkunft auf 19,6 Prozent sinkt. Sexuelle Gewalt ist auch regional unterschiedlich verteilt, am stärksten in Alaska, Oregon und Nevada, am schwächsten in Virginia und Tennessee. Bemerkenswert schließlich, daß mehr als ein Drittel der weiblichen Soldaten in den amerikanischen Streitkräften sexuellen Attacken ausgesetzt ist.

Friderizianisch II: Der australische Historiker Christopher Clark, im Moment wohl der wirkmächtigste – und dabei wohlwollendste – Deuter preußischer Geschichte, erklärt sein Interesse an der Materie mit den Eindrücken, die er während seines Studiums im Berlin der achtziger Jahre empfing. Gemeint war nicht West-Berlin, das ihm ganz und gar unpreußisch erschien, sondern Ost-Berlin, wo man nach Verlassen der Übergangsstelle Friedrichstraße sofort im Herzen des alten Preußen, auch des friderizianischen Preußen, stand. Dieser Impuls ist den Jüngeren kaum zu erklären und unter den Älteren jedem fremd, der – aus welchen Gründen immer – die Fahrt in die „Hauptstadt der DDR“ mied. Umgekehrt gab es eben nicht nur eine sentimentale Erinnerung an die vergangenen, verdrängten und verbotenen Teile der deutschen Geschichte, wenn man das Zentrum Berlins durchstreifte, sondern auch Anhalt für jenen merkwürdigen „Nationalbolschewismus light“, der in den Köpfen des einen oder anderen Patrioten spukte, mindestens derer, die in der DDR ein „halbes Preußen“ (Wolfgang Venohr dixit) sehen wollten.

Trotz der nachvollziehbaren Skepsis gegenüber dem Verfassungsschutz und seinen Berichten rechts der Mitte sollte man doch davon absehen, in allzu großer Gerechtigkeit die Linke gegen die Beobachtung in Schutz zu nehmen. Selbstverständlich hat die KPD-, USPD-, SED-Nachfolgepartei tiefstes Mißtrauen verdient und eine Abwehrhaltung, schon damit „so etwas nicht noch einmal passiert“.

Friderizianisch III: In einem Kommentar zur Friedrich-Debatte äußerte Jürgen Kaube, Preußen sei immer nur für den Adel und das sich an ihm orientierende Bürgertum eine vorbildliche Größe gewesen. Das ist natürlich Unsinn, sowieso in bezug auf das Kaiserreich, sicher im Hinblick auf die Zwischenkriegszeit und in manchem auch für die Entwicklung danach. Eigentlich müßte schon ein Blick auf die unteren Sedimentschichten der Kulturhistorie davon überzeugen. Woher die Popularität von Kuglers und Menzels „Geschichte Friedrichs des Großen“ oder der Gedichte Fontanes zum Thema? Woher die Menge der Drucke mit Themen aus der Vita des „alten Fritzen“? Woher die lange umlaufenden Anekdoten über den König und seine Heerführer, Seydlitz und „Zieten aus dem Busch“? Woher die Leidenschaft ganzer Generationen von Zinnfigurengießern und -bemalern? Woher der Erfolg der Fridericus-Filme mit Otto Gebühr?

Nach einem Bericht des Economist hat Südafrika – die am weitesten entwickelte Volkswirtschaft des Kontinents – ein dauerhaftes Problem mit dem Fehlen von qualifiziertem Nachwuchs. Das liegt vor allem an einem maroden Schulsystem: 80 Prozent der Schulen arbeiteten „dysfunktional“ erklärte das Unterrichtsministerium. Vor allem aber an einer ebenso inkompetenten wie faulen Lehrerschaft: deren Arbeitszeit wurde von 6,5 Stunden pro Werktag in der Zeit des weißen Regimes auf 3,5 Stunden ermäßigt, grundsätzlich fehlen am Freitag 20 Prozent aller Lehrer, und gegen Ende des Monats steigt der Satz auf mehr als 30 Prozent.

Friderizianisch IV: In der Gestalt Friedrichs des Großen ist Preußen ein deutscher Mythos geworden, vielleicht der einzig wirkmächtige.

Die aktuellen Umfragen deuten darauf hin, daß die schwarz-gelbe Koalition in Hannover die nächsten Landtagswahlen kaum überstehen wird. Das hat natürlich mit dem Bedürfnis nach politischer Veränderung zu tun, mit dem Volkswandel und der Formschwäche der FDP. Interessanter als das ist aber die Feststellung, wie wenig eine fast zehn Jahre dauernde Vorherrschaft der CDU das Land zu prägen vermochte. Symptomatisch für jeden „Machtwechsel“, den die Bürgerlichen in der Nachkriegszeit zuwege brachten.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 17. Februar in der JF-Ausgabe 8/12.

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