© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

„Diese Firma war einmal mein Leben“
Aus dem Notizbuch eines Beraters: Wenn das Geschäft an der Person hängt, kann das im Fall des Falles existenzgefährdend sein
Markus Brandstetter

Ein Unternehmensberater wird vom Mittelständler M. zu Hilfe gerufen. In nur drei Jahren ist der Umsatz um 20 Prozent gesunken, Verluste häufen sich, die Kreditlinien sind ausgeschöpft. Die Banken verlangen neue Sicherheiten, ansonsten droht ihm die Kündigung. Die besten Leute verlassen das Unternehmen, Wettbewerber pflücken Schlüsselkunden wie reife Äpfel vom Baum.

Der Berater redet mit Geschäftsleitung und Mitarbeitern, analysiert die Zahlen, studiert die Branche, besichtigt Werke und Niederlassungen. Schnell schält sich ein Bild heraus: Die Verluste betreffen hauptsächlich das größte und wichtigste Geschäftsfeld und den wichtigsten Markt. Binnen Monaten gingen in Süddeutschland und der Schweiz Kunden verloren, mit denen man seit Jahrzehnten beste Geschäfte getätigt hatte. Was ist da los?

Die Unterlagen des Unternehmens geben kaum was her. Berichte über Kundenbesuche gibt es nicht, auch keinen aussagekräftigen E-Post-Verkehr, Verträge hat man nie geschlossen, die Kunden haben einfach bestellt. Auf seine immer drängenderen Fragen hört der Berater: „Das hätten Sie den Herrn Ludwig fragen müssen. Das wußte nur der Herr Ludwig. Der Herr Ludwig hat das immer gemacht.“

Aber wer und wo ist Herr Ludwig? Die Fragen des Beraters führen bei der Geschäftsleitung zu Stottern, roten Köpfen und Schweißausbrüchen. Herr Ludwig, stellt sich heraus, war der Marketing-Direktor Süd, der Mann, der das ertragsstärkste Geschäftsfeld des Unternehmens mit einem Jahresumsatz von 100 Millionen Euro 30 Jahre lang geleitet hat. Und wo ist Herr Ludwig jetzt?

Pensioniert. Dafür gibt es gleich zwei Nachfolger: frisch diplomierte Kaufleute mit teuren Anzügen und schnellen Autos, die alles haben – nur keine Ahnung. Es dauert eine Woche, bis der Berater Herrn Ludwig auf dem Handy erreicht. Der ist zum Wandern in Neuseeland und klingt genauso entspannt wie der Pazifik im Hintergrund. Zurück in Deutschland will der frühere Manager alles tun, nur nicht mit dem Berater über sein altes Unternehmen reden. Die Feindseligkeit in seiner Stimme ist nicht zu überhören.

Der Berater bleibt höflich, aber hartnäckig, und irgendwann sitzt ihm Herr Ludwig beim Mittagessen gegenüber. Ludwig sieht aus wie ein Golfprofi im Ruhestand. Obwohl er eigentlich nicht mehr über die Firma M. reden wollte, sprudelt es nur so aus ihm heraus.

Der Berater hat längst einen Verdacht, was passiert ist, aber er möchte es von Herrn Ludwig selber hören. Der Ex-Manager nimmt kein Blatt vor den Mund. Sang- und klanglos wurde er in den Ruhestand geschickt. Keinen Dank und keine Feier gab es, keine Reden, keinen Blumenstrauß, ja nicht einmal einen Händedruck. „Und diese Firma“, sagt er mit schimmernden Augen, „war einmal mein Leben. Ich habe da mehr Zeit verbracht als mit meiner Familie.“

Der Berater hatte Ludwig fragen wollen, ob der auf ein Jahr lang aus dem Ruhestand zurückkehren würde, aber diese Frage erübrigt sich. Als er Ludwig auf dem Parkplatz die Hand schüttelt, drückt der ihm eine Visitenkarte in die Hand. Herr Ludwig ist nun selber Berater. Bei M.s schärfstem Konkurrenten.

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