© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Milliarden-Poker
Unternehmenspolitik: Berichte über Börsengang von Facebook / Die nächste Erfolgsgeschichte nach Apple oder nur eine Luftnummer?
Marco Meng

Vergangene Woche mehrten sich die Spekulationen in den US-Medien. Am Montag berichtete dann auch die Neue Zürcher Zeitung über die Gerüchte um einen baldigen Facebook-Börsengang: „Im Zuge eines möglicherweise zwischen April und Juni durchgeführten Initial Public Offering (IPO) könnten Aktien im Umfang von etwa zehn Milliarden Dollar im Anlegerpublikum plaziert werden.“ Wird das der größte Börsengang der Geschichte? Ist die am 4. Februar 2004 gegründete Internet-Firma wirklich eines der „wertvollsten“ Unternehmen aller Zeiten?

Optimisten sehen Parallelen zur Erfolgsgeschichte des Hard- und Softwareherstellers Apple (JF 50/11). Doch Facebook stellt im Gegensatz zu Apple, Microsoft oder Samsung weder etwas her noch besitzt es nennenswerte Patente. Alleine das Sammeln und Weiterverkaufen von Nutzerdaten macht es zu einem der derzeit lukrativsten Unternehmen.

Wie viele andere „New Economy“-Firmen in den späten neunziger Jahren würde auch Facebook mit einem riesigen Vertrauensvorschuß aufs Börsenparkett gehen: Bis zu 100 Milliarden Dollar soll Facebook wert sein. Es wäre damit „wertvoller“ als der fast eine halbe Million Menschen beschäftigende VW-Konzern. Der Facebook-Börsengang soll Einnahmen von zehn Milliarden Dollar erbringen. Der Internetdienstleister Google hatte bei seinem Börsengang 2004 nur rund 1,9 Milliarden Dollar eingenommen.

Der Facebook-Umsatz könnte zum Börsengang etwa vier Milliarden Dollar betragen – offizielle Zahlen sind nicht bekannt. Zwischen Oktober 2010 und Januar 2011 hat Facebook seinen mutmaßlichen „Wert“ von 35 Milliarden Dollar auf 60 Milliarden Dollar fast verdoppelt – was an Spekulationsblasen erinnert. Der einstige Facebook-Investor Thomas Heilmann nannte diese Bewertung daher „irre“ und stieg aus. Ganz freiwillig käme der Börsengang auch nicht, denn wenn in den USA eine Firma mehr als 500 Anteilseigner hat, ist sie verpflichtet, ihre Finanzdaten öffentlich zu machen. Gründer und Haupteigentümer Mark Zuckerberg hält 24 Prozent von Facebook. Goldman Sachs galt bislang als Hauptanwärter für den Facebook-Deal, nachdem die Bank die vorbörsliche Ausgabe von Facebook-Aktien an vermögende Privatanleger betreut hatte (JF 3/11).

Ähnlich wie Google will jetzt aber Facebook offenbar unter Umgehung von Banken seine Aktien direkt in Onlineauktionen anbieten: Interessenten sind genug vorhanden. Mit inzwischen etwa 800 Millionen Nutzern weltweit ist Facebook die Nummer eins unter den sogeannten Sozialen Netzwerken. Nur China verweigert sich, die GUS-Staaten (mit Vkontakte.ru) und Japan (mit Mixi.jp, JF 43/10) haben äußerst erfolgreiche Eigenwächse etabliert.

Die deutsche Kreation studiVZ.net konnte sich hingegen nicht gegen die milliardenschwere Facebook-Dominanz behaupten. Der einstige Facebook-Konkurrent MySpace.com erbrachte 2011 laut Medienberichten lediglich einen Verkaufspreis von 35 Millionen Dollar. Ob es Facebook aber gelingen wird, seinen Nutzern irgendwann kostenpflichtige Angebote zu verkaufen oder ob es lange so weitergehen kann, Geld für maßgeschneiderte Werbung zu erlösen, ist eine offene Frage.

Für dieses Jahr haben noch wenigstens 15 weitere Internetfirmen ihren Börsengang angekündigt. Doch außer Google waren die jüngeren Börsengänge der Branche wenig berauschend: Nach gutem Start rutschten die Kurse von LinkedIn, die Aktie verlor von ihrem Hoch 45 Prozent. LinkedIn macht 243 Millionen Dollar Umsatz und 15 Millionen Gewinn – kurz nach dem Börsengang waren die Aktien aber acht Milliarden Dollar wert. Anscheinend werden einige, wenn es ums Internet geht, realitätsfern: Das chinesische Videoportal Youku kostet an der Börse fast sechs Milliarden Dollar – bei knapp 20 Millionen Dollar Umsatz. Die russische Internetholding Mail.ru bilanzierte zuletzt rund 300 Millionen Euro Umsatz – bei einem Börsenwert von knapp acht Milliarden Dollar.

Zum Vergleich: Der Internetgigant AOL beherrschte 1999 den Markt, die Firma wurde an der Börse mit 165 Milliarden Dollar taxiert. Seither ist der AOL-Börsenwert um 99 Prozent eingebrochen. Der im Herbst 2011 gestartete Rabattvermarkter Groupon mußte mehrfach seinen Börsenprospekt korrigieren, schließlich halbierte sich der Kurs innerhalb weniger Wochen. Auch das Facebook-Geschäftsmodell wirft Fragen auf, die an die „New Economy“-Blase der Neunziger erinnern. Das Sammeln und Weiterverkaufen von Daten ist erfolgreich – aber wie lange kann die kostenfreie Facebook-Nutzung aufrechterhalten werden, wenn sich nach dem Börsengang die Eigentümerstruktur ändert? Wie hoch ist die Toleranzschwelle der Facebook-Mitglieder? Erst kürzlich machte Facebook „interaktive Lebensläufe“ (Chronik) zur Pflicht – was Datenschützer äußert kritisch sehen.

Eine Studie untersuchte kürzlich die Auswirkungen von Facebook auf die europäische Wirtschaft. Angeblich hätten Unternehmen durch Facebook rund 32 Milliarden Euro Umsatz gemacht. „Der Erfolg von Social Media bedeutet Wachstum und Arbeitsplätze“, resümierte die Studie. Doch der Löwenanteil dieser Summe wurde mit Werbung umgesetzt – und die zahlt letztendlich der Verbraucher, auch wenn er Facebook selbst gar nicht nutzt.

Im Duell mit Facebook versucht auch Google, sich „sozial zu vernetzen“. Das Netzwerk „Google+“ wurde in die Suchfunktion integriert – doch damit verschlechterte sich die Qualität der Treffer erheblich. Dabei war Googles Erfolgsgeheimnis bislang die unbestrittene Qualität seines Suchdienstes gewesen. Auch finanziell ist dies das Rückgrat des Konzerns: Suchmaschinenwerbung erbringt pro Quartal mehr als zehn Milliarden Dollar. Werden nun auch hier die Suchergebnisse „sozialisiert“, heißt das nichts anderes als daß diejenigen Ergebnisse zuerst gezeigt werden, für die das meiste gezahlt wird. Für die einen gibt es dann maßgeschneiderte Werbung, für die anderen fragwürdig maßgeschneiderte Suchergebnisse.

Foto: Facebook-Unternehmer Mark Zuckerberg: Lukratives Sammeln und Weiterverkaufen von privaten Daten

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