© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Zwei Jahrzehnte Wohlstandsbremse
Europäische Währungsunion: Nicht nur Deutschland stünde ohne den Maastricht-Vertrag besser da
Bernd-Thomas Ramb

Der am 7. Februar 1992 von den Mitgliedern des Europäischen Rats unterzeichnete Maastricht-Vertrag leitete eine fundamentale Neuorientierung in der europäischen Zusammenarbeit ein. Ursprünglich war die Europäische Gemeinschaft (EG) mit der Öffnung der Märkte und der Verbesserung der Handelsbeziehungen befaßt und somit vornehmlich wirtschaftlich ausgerichtet.

Mit der Ausdehnung auf die Bereiche Außen- und Innenpolitik sowie Justiz und Sicherheit, also einem intensiven Eingriff in die vormals nationalen Hoheitsgebiete, wandelte sich die nun Europäische Union (EU) genannte Organisation in eine eurozentrale Schaltstelle, deren uniforme Verordnungen die wirtschaftlichen Aktivitäten nicht nur beeinträchtigten, sondern die zuvor erreichten Handelsfreiheiten wieder einschränkten.

Der gravierendste Eingriff des Maastricht-Vertrags bestand in der Vorbereitung und Durchsetzung einer einheitlichen Währung. Nicht alle Staaten sind der Währungsunion beigetreten. Bislang haben nur 17 der 27 EU-Staaten den Euro eingeführt. Einige sind noch nicht für aufnahmewürdig befunden worden, obwohl diese Länder dies anstreben. Großbritannien, Dänemark und Schweden haben dagegen freiwillig auf die angeblichen Euro-Vorteile verzichtet. Der Euro sollte die Krönung der EU werden, nachdem sich die Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme vollständig angepaßt hatten. Da dieses Ziel nicht schnell genug erreichbar erschien und Wissenschaftler sogar bezweifelten, daß dies überhaupt möglich sei, sollten die vermeintlichen Vorzüge einer Einheitswährung sofort realisiert werden.

Die EU à la Maastricht und insbesondere der Euro wurden den Europäern als Mittel zur Erlangung eines größeren Wohlstands schmackhaft gemacht. Wie aber sieht die entsprechende Bilanz zwanzig Jahre nach Abschluß des Maastricht-Vertrags und zehn Jahre nach Einführung des Euro aus? In der Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens der beteiligten Staaten läßt sich keine Bestätigung des politischen Optimismus der Eurokraten erkennen. Insbesondere Deutschland hat unter dem Maastricht-Regime nichts gewonnen und im Vergleich zu den anderen Mitgliedsstaaten sogar kräftig verloren, wie Statistiken der EU-neutralen Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) offenbaren.

1991 lag demzufolge Deutschland gemessen am jährlichen Pro-Kopf-Einkommen im weltweiten Vergleich mit 27.016 US-Dollar (der Maßeinheit der OECD-Statistiken) an fünfter Stelle. Nur in Luxemburg, Norwegen, der Schweiz und den USA verzeichneten die Einwohner ein höheres Einkommen; auch deshalb weil die deutsche Vereinigung das Durchschnittseinkommen rapide senkte. Bis 2010 rutschte Deutschland mit zuletzt 33.423 US-Dollar auf Platz 11 der OECD-Skala ab. Von 1991 bis 2010 ist das preisbereinigte deutsche Pro-Kopf-Einkommen lediglich um durchschnittlich 1,25 Prozent angestiegen. Andere Länder haben Deutschland in dieser Zeit durch höhere Wachstumswerte überholt. Relativ betrachtet sind die Deutschen seit dem Maastricht-Vertrag somit ärmer geworden.

Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der OECD-Länder stieg in der gleichen Zeit von 22.661 auf 30.117 US-Dollar, im Jahresschnitt inflationsbereinigt um 1,73 Prozent. Für die EU-Länder sind gemeinsame Zahlen erst seit 1995 veröffentlicht. Bis 2010 wuchs das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der 27 EU-Staaten von 21.934 auf 27.533 US-Dollar, im Jahresdurchschnitt um 1,7 Prozent.

Die 17 Länder, die im Euro-Verbund zusammengeschlossen sind, verzeichnen in dieser Zeit einen Anstieg des gemeinsamen Pro-Kopf-Einkommens von 24.885 auf 29.885 US-Dollar, das sind im Durchschnitt 1,34 Prozent höheres reales Einkommen. Gemessen am Anstieg des realen, inflationsbereinigten Pro-Kopf-Einkommens läßt sich damit die Zeit des Maastricht-Vertrag bis 2010 wie folgt bilanzieren: Das stärkste Einkommenswachstum verzeichnen die OECD-Länder insgesamt. Die EU-Staaten liegen erkennbar darunter. Wesentlich schlechter schneiden die Euro-Länder im OECD-Vergleich ab. Das Wachstumsschlußlicht dazu bildet Deutschland. In dieser Zeit haben Länder wie die Niederlande, Österreich, Irland oder das Nicht-Euro-Land Schweden auch in absoluter Pro-Kopf-Einkommenshöhe Deutschland überholt.

Die Absenkung des deutschen Durchschnittseinkommens im internationalen bzw. EU-Vergleich mag politisch willkommen sein. Schließlich ist die Anpassung der Lebensverhältnisse in der EU ausdrücklich im Zielkatalog verankert. Durch den Verlust des Stellenwertes innerhalb der EU-Rangfolge wird jedoch deutlich, daß Deutschland über das Ziel hinausgeschossen ist. Eine Anpassung hätte auch ohne Rangverlust erfolgen können. Nun steht Deutschland im Euro-Länder-Vergleich an sechster statt an zweiter Stelle, im EU-Vergleich an siebter statt an zweiter Stelle.

Eine politisch-finanzielle Anerkennung des deutschen Wachstumsnachteils bleibt allerdings aus. Auch im Jahr 21 nach Maastricht gelten die Deutschen immer noch als zahlungskräftigste Nation. Bei den Zahlungen an die EU-Umverteilungsmaschinerie steht Deutschland weiterhin an erster Stelle.

 

Vertrag von Maastricht

Der Ende 1991 vereinbarte „Vertrag über die Europäische Union“ (EUV) wurde am 7. Februar 1992 von den Staats- und Regierungschefs der damaligen zwölf EG-Staaten im niederländischen Maastricht unterzeichnet. Zahlreiche deutsche Juristen und Ökonomen kritisierten den Maastricht-Vertrag. „Eine funktionsfähige Wirtschafts- und Währungsunion erfordert als Vorbedingung eine dauerhafte – über mehrere Jahre hinweg nachgewiesene – Angleichung der relevanten Wirtschaftsstrukturen der Mitgliedsländer“, hieß es in dem im Juni 1992 veröffentlichten „Manifest der 60 Ökonomen gegen die Maastricht-Beschlüsse“. Es gebe kein „zwingendes ökonomisches Argument dafür, von oben eine monetäre Einheit auf ein wirtschaftlich, sozial und interessenpolitisch noch uneiniges Europa zu stülpen“. Doch entsprechende Verfassungsbeschwerden (unter anderem von Manfred Brunner, vertreten duch Karl Albrecht Schachtschneider) wurden vom Bundesverfassungsgericht (Az: 2 BvR 2134, 2159/92) am 12. Oktober 1993 zurückgewiesen. Der Maastricht-Vertrag trat dann am 1. November 1993 in Kraft.

Foto: Fehler im System: Es gibt kein zwingendes ökonomisches Argument dafür, von oben eine monetäre Einheit auf ein wirtschaftlich, sozial und interessenpolitisch noch uneiniges Europa zu stülpen.

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