© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Vorteil Edinburgh
Schottland: Die Chancen für die Unabhängigkeit des Landes werden immer größer
Martin Schmidt

Das Pokerspiel um die Unabhängigkeit Schottlands ist in vollem Gange. Dabei kommt den Modalitäten der geplanten Volksabstimmung entscheidende Bedeutung zu. Am 25. Januar stellte Alex Salmond, der Erste Minister Schottlands, den Entwurf seiner Regierung für das Referendum vor. Auf dem Wahlzettel soll demnach die Kernfrage folgendermaßen lauten: „Stimmen Sie zu, daß Schottland ein unabhängiges Land sein sollte?“ Neben den Antwortmöglichkeiten „Ja“ und „Nein“ würde alternativ eine dritte Forderung stehen, nämlich die nach noch weitergehender Autonomie innerhalb Großbritanniens.

Letztere genießt schon jetzt eine deutliche Zustimmung in der schottischen Bevölkerung. Meinungsumfragen sehen den Anteil der Befürworter unter den fünf Millionen Einwohnern bei bis zu 70 Prozent, wobei insbesondere eine Ausweitung der Steuerhoheit Edinburghs beliebt wäre. Den demoskopischen Erhebungen zufolge steigt derzeit auch die Anhängerschaft einer eventuellen Unabhängigkeit merklich an. Die jüngste, vom Sunday Telegraph in Auftrag gegebene Umfrage weist für Schottland 40 Prozent Ja-Stimmen gegenüber 43 Prozent Ablehnung aus. Noch vor kurzem lag die Quote der Befürworter bei kaum über 30 Prozent.

Darüber hinaus bestätigt die neue Studie die schon länger feststellbare Mehrheitsmeinung in England, daß die Schotten aus dem Staatsverband entlassen werden sollten (43 Prozent gegenüber 32 Prozent gegen eine Unabhängigkeit Schottlands).

Eine dreigeteilte Fragestellung könnte sich für Salmond und dessen seit Mai 2011 im 1998 errichteten Regionalparlament allein regierende Schottische Nationalpartei (SNP) als geschickter Schachzug erweisen: den vielen Zweiflern würde mit dem Ausbau der Autonomierechte eine annehmbare Alternative zur immer unbeliebteren Totalablehnung geboten, wobei sich dann die Gruppe der entschiedenen Unabhängigkeitsbefürworter als lachender Dritter erweisen könnte. Gegebenenfalls böte eine bis zur Quasi-Unabhängigkeit ausgedehnte Autonomie für die SNP auch die Möglichkeit, eine Absage an ihren Unabhängigkeitstraum innerlich zu akzeptieren und zugleich machtpolitisch nicht das Gesicht zu verlieren.

Allerdings dürfte London diese Hintergedanken erkennen und die entsprechende Strategie nach Kräften zu hintertreiben suchen. Schottlandminister Michael Moore hatte ja bereits Anfang des Jahres im Unterhaus erklärt, daß es nur eine einzige Referendumsfrage geben solle, nämlich die nach dem generellen Verbleib in Großbritannien und daß die Abstimmung in den kommenden anderthalb Jahren stattfinden müsse und nicht in dem aus britischer Sicht wenig verheißungsvollen Jahr 2014.

Überdies hebt die Zentralregierung immer wieder die abschließende Zuständigkeit des britischen Unterhauses für alle verfassungsrechtlichen Fragen hervor, zu denen natürlich auch eine Loslösung Schottlands und die etwaigen Rahmenbedingungen gehörten. Dem steht die Demokratieforderung des gewählten schottischen Regionalparlaments gegenüber. O-Ton Salmond: „Die Zeiten, in denen Westminister diktieren kann, was in Schottland passiert, sind vorbei.“

Doch auch im Falle einer bereits in der zweiten Jahreshälfte 2013 angesetzten Volksabstimmung sind die Karten für die schottischen Nationalisten alles andere als schlecht: Zentralistische Strukturen werden europaweit zunehmend problematisiert, und die anhaltende britische Wirtschaftskrise läßt eine alleinige Verfügung über die reichen Ölvorkommen vor der schottischen Küste immer verlockender erscheinen. Obendrein steht die schottische Presse schon aus Lokalpatriotismus fast geschlossen hinter dem politischen Oberhaupt Salmond.

Für eine Beibehaltung des vor gut 400 Jahren durch die Zusammenlegung des englischen und des schottischen Parlaments besiegelten Vereinigten Königreiches spricht demgegenüber vor allem die starke Anglisierung der relativ dicht besiedelten Borderlands mit ihrer in weiten Teilen klar gegen einen Unabhängigkeitskurs eingestellten englischen Mehrheitsbevölkerung. Ohne diese Sondersituation im Süden des Landes wäre die Mehrheit der schottischen Bevölkerung für die volle Eigenständigkeit längst überwältigend.

Foto: FN-Chefin Marine Le Pen vor 2.000 Anhängern in Perpignan: Den Fußstapfen ihres Vaters entwachsen

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