© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

Michael Diener. Deutschlands konservative Protestanten haben einen neuen Vorsitzenden.
Kurs halten!
Gernot Facius

Fällt das Wort „Evangelikale“, verdreht manch braver deutscher Christenmensch die Augen: Sind das nicht Fundamentalisten, Höllenprediger, ekstatische Erweckungsapostel – wie man sie aus Amerika kennt –, militante Abtreibungsgegner, zumindest Sektierer, die den evangelischen Landeskirchen den Rücken gekehrt haben? Vorurteile lassen sich nicht so leicht erschüttern. Dabei gehört die Hälfte der etwa 1,3 Millionen „Evangelikalen“, die sich etwa in der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA) vereinigt haben, einer EKD-Kirche an; amerikanische Verhältnisse? Fehlanzeige.

Erstmals in der 165jährigen Geschichte der DEA steht an der Spitze dieses Netzwerks reformatorischer Christen mit pietistischem, freikirchlichem und charismatischem Glaubensverständnis, für die die Bibel noch höchste Autorität ist, nun ein promovierter Theologe, der auch Präses des pietistischen landeskirchlichen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes ist: Michael Diener, Jahrgang 1962, einst Dekan in seiner Vaterstadt Pirmasens. Ohne Zweifel bedeutet die Wahl des Pfälzers zum Nachfolger von Jürgen Werth (JF 2/07), Chef des Evangeliumsrundfunks (ERF) in Wetzlar, eine Zäsur, wenn nicht eine Epochenwende.

Es klingen neue Töne an, die manchen Konservativen befremden. Anders als etwa DEA-Generalsekretär Hartmut Steeb tritt Diener entschieden für den Verbleib der evangelischen Kirche in der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung ein. Diener, nach wie vor Pfarrer der pfälzischen Landeskirche, liegt hier ganz auf EKD-Kurs; er rät den Evangelikalen zu einer „differenzierten Sicht“, räumt aber ein, daß die Zahl der Abtreibungen nach der sozialen Indikation „zu hoch“ sei. Dem Ex-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber streut er Rosen, weil unter ihm das Verhältnis zwischen EKD und Evangelikalen „geschwisterlicher“ geworden sei. Landeskirchlich-loyal, wie er sich präsentiert, möchte der neue Vorsitzende weitere alte Gegensätze einebnen.

Viele Allianzler sehen mit Entsetzen, daß in theologisch diffusen Landeskirchen Pfarrhäuser für homosexuelle Partnerschaften geöffnet werden. In dieser Frage sei allerdings auch er konservativ, beteuert Diener, denn nach dem Zeugnis der Schrift sei praktizierte Homosexualität Sünde. Doch dann zieht er sich auf eine Position zurück, die man auch von EKD-Seite her kennt: Das Thema spiele „keine entscheidende Rolle“, und im übrigen müsse „der Einzelfall gelten“. Es sei ihm wichtig, an die „altchristliche Wahrheit“ zu erinnern, daß die Wirkung von Wort und Sakrament „nicht abhängig von der Würdigkeit des Überbringers gemacht werden kann“. Ob damit die Bedenken zertreut sind? Dieners als Buch veröffentlichte Dissertation trägt den markigen Titel: „Kurs halten in stürmischer Zeit“. An der Bereitschaft, dieses Versprechen einzulösen, wird er gemessen werden.

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