© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/12 03. Februar 2012

„Zentralstaat durch die Hintertür“
Er war einer der erfolgreichsten Finanzminister Großbritanniens, heute zählt er zu seinen prominentesten EU-Kritikern. Lord Nigel Lawson warnt, hinter dem Euro stecke die Absicht, an den Völkern vorbei einen europäischen Bundesstaat zu schaffen.
Moritz Schwarz

Lord Lawson, der wievielte Euro-Krisen-Gipfel war das am Montag eigentlich?

Lawson: Weiß ich auf Anhieb auch nicht, aber es wird nicht der letzte gewesen sein.

Immerhin haben wir jetzt den Fiskalpakt, „eine Meisterleistung“, wie Angela Merkel ihn lobt.

Lawson: Ich sage, der Euro scheitert trotzdem.

Warum?

Lawson: Weil es gar nicht anders kommen kann.

Bitte konkret, warum?

Lawson: Wenn der Fiskalpakt zu einer wirklichen Fiskalunion, sprich dazu führen würde, daß wir einen europäischen Finanzminister bekämen, dann könnte es funktionieren. Aber das würde bedeuten, daß die Währungsunion in eine politische Union transformiert werden wird – also daß die Politik künftig nicht mehr in Paris, Berlin, Rom, sondern in Brüssel und Straßburg gemacht wird. Das aber wollen die europäischen Völker nicht. Also kann es auch keine wirkliche Fiskalunion geben. Doch ohne diese ist die Währungsunion dazu verurteilt, im Desaster zu enden. Und deshalb sage ich voraus: Der Euro wird scheitern.

In einem Gastbeitrag für den Berliner „Tagesspiegel“ fordern Sie, daß „die Euro-Zone aufgelöst“ werden sollte.

Lawson: Weil sich mit jedem Tag die Krise verschärft. Mittlerweile droht sie nicht mehr nur die Staaten der Euro-Zone ernsthaft wirtschaftlich zu schädigen, sondern sogar den Rest der Welt.

Genau deshalb, so wird in Deutschland gern argumentiert, sei es ja gerade richtig und wichtig, immer mehr Geld in die Euro-Rettung zu investieren.

Lawson: In England haben wir ein Sprichwort: „Wirf schlechtem Geld, niemals gutes hinterher.“

Da klingt der ehemalige königliche Schatzkanzler durch.

Lawson: Das ist lange her – aber ich bin sicher, es gibt einen ähnlichen Sinnspruch auch bei Ihnen in Deutschland. Er warnt davor, einen Fehler bloß nicht dadurch noch schlimmer zu machen, daß man nicht von ihm lassen kann. Gerade das aber ist leider bei Politikern häufig zu beobachten.

Sie waren mehrfach Minister, dann Parlamentsabgeordneter – Sie sind selbst Politiker!

Lawson: Ich weiß also, wovon ich spreche. Es ist nur allzu menschlich, lieber auf einem Fehler zu beharren, als ihn einzuräumen, das kennen wir doch alle. Doch daß besonders Politiker dazu neigen, hat natürlich fatale Auswirkungen, denn deren Fehler betreffen alle. Dessen sollten wir uns als Bürger bewußt sein. Und ebenso, daß die Folge solcher Politik ist, daß die Probleme, statt eingedämmt zu werden, immer weiter wachsen. Wenn Sie beziehungsweise der deutsche Zeitungsleser das Gefühl haben, die gegenwärtige Euro-Rettungspolitik längst nicht mehr zu verstehen, wenn es Ihnen grotesk vorkommt, wie immer aufs neue immer noch gewaltigere Rettungsschirme gespannt werden, die dann nach nur wenigen Wochen auch schon nicht mehr ausreichen, und Sie sich ratlos fragen, welchem Plan die Politik eigentlich folgt, dann kalkulieren sie diesen Faktor! Sie folgt keinem Plan, sie verschließt vielmehr die Augen vor dem Abgrund und hofft, daß die Bürger das mitmachen. Tatsächlich will keiner in der Euro-Zone die Wahrheit aussprechen: Nämlich, daß das alles ein Riesenfehler war! Daß das Experiment aufgegeben werden muß. Daß der Euro vielleicht der größte politische Patzer in Europa seit Ende des Zweiten Weltkrieges ist.

Also was tun?

Lawson: Raus, die Währungsunion auflösen, sie funktioniert ja nicht. Bleiben Sie in einem Auto sitzen, dessen Bremsen nicht mehr funktionieren? Abspringen, bevor noch Schlimmeres passiert! Allerdings: Stürzen Sie sich dabei bitte nicht versehentlich vor das nächste Fahrzeug, sondern springen Sie ab nach allen Regeln der Kunst. Soll heißen, die Auflösung der Währungsunion muß jetzt geordnet passieren, bevor sie sich sonst später im Chaos vollzieht.

Das geht nicht.

Lawson: Warum?

Weil es dann zu einem neuen Krieg in Europa kommt – sagt Frau Merkel.

Lawson: Bei allem Respekt, aber das ist hysterischer Unsinn – verzeihen Sie bitte, wenn ich das so in aller Offenheit über Ihre Kanzlerin sage. Nun, es sei zu ihren Gunsten eingeräumt, daß es nicht so ist, als hätte die EU nicht ihren historischen Zweck gehabt. Zu Beginn, nach 1945, war das europäische Projekt in der Tat vor allem ein Mittel, um einen neuen Krieg in Europa zu verhindern. Aber dieses Ziel wurde längst erreicht. Inzwischen schreiben wir 2012, heute haben wir doch eine ganz andere Lage. Und vor allem: Dieses Ziel wurde erreicht, ganz ohne eine Währungsunion, die kam ja erst Jahrzehnte später! Nein, die europäische Gemeinschaft bestand schon lange vor dem Euro und ebenso wird sie auch danach existieren. Wir sollten uns also nicht von der Parole ins Bockshorn jagen lassen, daß ohne den Euro in Europa die Lichter ausgehen.

Warum sagt Frau Merkel dann so etwas?

Lawson: Tja, wissen Sie, die Tatsache, daß der Euro nicht funktioniert, liegt darin begründet, daß er von Anfang an einen Geburtsfehler hatte: Er war nämlich in Wahrheit schon immer kein wirtschaftliches, sondern ein politisches Projekt. Und das spiegelt sich eben in Sätzen wie etwa diesem von Frau Merkel. 1963 etwa äußerte der damalige Präsident der deutschen Bundesbank, Karl Blessing, ganz offen: „Eine gemeinsame Währung ... ist nur dann denkbar ..., wenn es eine gemeinsame Politik gibt, kurz, einen Bundesstaat mit einem europäischen Parlament mit Gesetzesbefugnissen gegenüber allen Mitgliedsstaaten.“

Sprich, es geht gar nicht um den Euro?

Lawson: Ja, so ist es. Sehen Sie, als die Währungsunion 1969 das erstemal ernstlich von der Politik ins Auge gefaßt wurde, wurde das auch noch ganz offen gesagt, ökonomische Vorteile galten damals als sekundär. Die Deutschen wurden wohl angetrieben von dem Gefühl, daß diese Umarmung notwendig sei, weil ihnen wegen der Ereignisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts keiner mehr in Europa trauen würde – und sie sich selbst vielleicht nicht einmal mehr trauten. Die Franzosen dagegen sahen in dem Projekt die Chance, die Dominanz der deutschen Bundesbank zu brechen, sowie die Möglichkeit, sich so besser gegen die USA zu behaupten und einen Teil ihrer alten Glorie wiederherstellen zu können. Sie gingen natürlich davon aus, daß sie das Projekt steuern würden – für Deutschland hatten sie dabei die Rolle der loyalen Nummer zwei vorgesehen. Bitte, ich sage das nicht, um die Franzosen zu schmähen, im Gegenteil, ich habe einen Wohnsitz in Frankreich und schätze das Land. Ich sage das, weil es den historischen Tatsachen entspricht. Allerdings erwies sich Frankreichs Begeisterung für das Projekt als geringer, und bald steckte man fest. Als es in den achtziger Jahren wieder angeschoben wurde, hatten seine Befürworter gelernt, lieber die angeblichen ökonomischen Vorteile in den Vordergrund zu rücken und über die politischen Motive weitgehend zu schweigen. Auch aus der Erfahrung, daß in einer Demokratie sehr viele Bürger ihre Entscheidung davon abhängig machen, was ihnen angeblich ökonomische Vorteile bringt.

Eine Art Umweg?

Lawson: Genau, weil es politische nicht durchzusetzen war, starten sie wirtschaftlich, um dann dank der Umstände politisch anzukommen. Sehen Sie, es gibt in der Tat Leute, die diese Krise dazu nutzen wollen, um den Zentralismus in der EU voranzutreiben und aus ihr nun die politische Union zu machen, ohne die die Währungsunion nicht funktioniert, die aber die Bürger auch nicht wollen. Zumindest soweit ich weiß, wollen das weder die Franzosen noch das deutsche Volk, um einmal die beiden wichtigsten zu nennen. Und als Demokrat hat man eigentlich den Willen des Volkes zu respektieren, Punkt. Wer also eine politische Union will, der müßte redlicherweise erst die Völker davon überzeugen und nicht durch die Hintertür kommen.

Also sind unsere Politiker unehrlich?

Lawson: Nun, sie sind eben Politiker.

So eine Betrachtung der Dinge liest man sonst nicht in einer deutschen Zeitung, denn sie gilt als „antieuropäisch“ und „Stimmungsmache“. Warum hat der „Tagesspiegel“ Ihren Beitrag dennoch gedruckt?

Lawson: Ich weiß nicht, vielleicht spielt eine Rolle, daß ich als ehemaliger britischer Finanzminister und Abgeordneter eine gewisse Reputation habe und nicht so leicht in die rechte Ecke gerückt werden kann. Denn es ist doch ein Problem, daß EU-Kritiker mitunter gerne als „rechts“ gelten. Ja, ich glaube, daß viele Bürger, vor allem bei Ihnen in Deutschland, es deshalb nicht wagen, ihre kritische Stimme zu erheben, weil sie Angst haben, dann in eine solche Schublade gesteckt zu werden.

Sie schreiben im „Tagesspiegel“ weiter, im europäischen Projekt stecke „eine fundamentale Geringschätzung der Demokratie“.

Lawson: Ja, das war schon immer eine der bemerkenswertesten und am wenigsten attraktiven Eigenschaften der europäischen Bewegung – wie ehrenwert ihre Ziele auch immer gewesen sein mögen. Und die gegenwärtige Krise hat im Kern ganz klar mit dieser Geringschätzung zu tun. Woher kommt das? Sehen Sie, diese Leute glauben, besser zu wissen, welche Politik richtig für die Bürger ist. Einige von diesen Leuten mögen sogar so weit gehen, sich nicht einmal das Ende der Euro-Krise zu wünschen, sondern spekulieren darauf, daß so mancher Bürger, wenn das immer so weitergeht, am Ende mürbe wird und so schließlich eher bereit ist, einem Zentralstaat zuzustimmen. Diese Respektlosigkeit vor dem demokratischen Prinzip rührt unter anderem daher, daß eine Wurzel der europäischen Bewegung in Kräften liegt, die sich vom Marxismus abgewandt haben, als dieser anfing seine Strahlkraft zu verlieren. Sie suchten sich eine neue Idee, ein neues Ideal, an sie glauben konnten, den europäischen Superstaat.

Dann wäre aber der mangelnde Respekt, den Sie konstatieren, nicht eine Fehlfunktion am Rande, sondern Teil der Baustruktur des Projekts und tief im Euro-Establishment verwurzelt?

Lawson: Ich fürchte, dem ist auch so. Und die einzige Hoffnung ist, daß die Bürger das einmal erkennen.

Der „Spiegel“ zitierte Sie mit dem Worten, die Euro-Krise sei „eine goldene Gelegenheit, die Vereinigten Staaten von Europa ein für allemal zu verhindern“.

Lawson: Ja, denn sie sprechen in Brüssel zwar stets von Subsidiarität und so weiter, aber im Grunde glauben sie, daß „mehr Europa“ per se immer gut ist, und „mehr Europa“ bedeutet in der Praxis stets mehr Zentralismus.

Aber das Krisen-Management der Euro-Zone entfernt uns doch nicht von einem EU-Zentralstaat – im Gegenteil, es nähert uns ihm immer weiter an.

Lawson: Ja, das stimmt. Meine Aussage bezog sich auch darauf, daß es eine „goldene Gelegenheit“ für Großbritannien wäre, sich dem Sog eines EU-Zentralstaates zu entziehen. Für Sie in Deutschland sieht es da leider anders aus.

Sie haben, so meldet eine weitere deutsche Zeitung, die britische Regierung dazu aufgefordert, den Lissabon-Vertrag zu zerreißen und gegenüber Paris und Berlin auf einer neuen Verfassung für Europa zu bestehen, die die Grenzen der Integration klar festlegt.

Lawson: Ganz genau, denn Lissabon, das war keine Verfassung! Der Lissabon-Vertrag ist vielmehr das genaue Gegenteil, eine Art Anti-Verfassung. Was macht eine Verfassung denn aus? Sie garantiert erstens die Rechte der Bürger, zweitens die Rechte der Bundesstaaten und drittens und vor allem, sie schafft einen Rahmen für politische Stabilität. Lissabon dagegen produziert in keiner Weise Stabilität. Lissabon bedeutet vielmehr Instabilität, nämlich ein weiteres Hinübergleiten in den Zustand des Zentralismus. Wenn wir das in Europa nicht endlich beenden, dann bleiben wir stecken, wo wir sind: mitten im allerschlimmsten Schlamassel!

 

Nigel Lord Lawson of Blaby, der Konservative war von 1983 bis 1989 britischer Schatzkanzler unter Margaret Thatcher, zuvor Minister für Energie. Danach saß er für die Torys im Unterhaus, heute ist der Baron Mitglied des Oberhauses. Der ehemalige Finanzjournalist und Herausgeber des Spectators stellte als Energieminister die Weichen für wichtige Privatisierungen. Seine Zeit als Finanzminister wurde ob des Wachstumsschubs für die britische Wirtschaft als „Lawson Boom“ bekannt. 1989 trat er nach Differenzen mit Thatcher zurück, sein Nachfolger wurde John Major. Nach seinem Rückzug aus der Politik wurde Lawson in England als Autor eines Diätbuches populär, das zum Bestseller avancierte. Inzwischen macht er sich auch als EU-Kritiker einen Namen. Der Berliner Tagesspiegel veröffentlichte unlängst Lawsons Aufsatz „Warum die Euro-Zone aufgelöst werden sollte“. Die Memoiren des 1932 in London Geborenen erschienen 2011 unter dem Titel „Memoirs of a Tory Radical“.

Foto: Kanzlerin Merkel am Montag auf dem EU-Sondergipfel in Brüssel: „In Wahrheit war die Euro-Währungsunion schon immer kein wirtschaftliches, sondern ein politisches Projekt“

 

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