© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Der Quex von der „Zeit“
Der Hamburger Journalist Bernd Ulrich ruft nach deutschem Kriegertod für die „Menschenrechte“
Thorsten Hinz

Ein Buchtitel, der wie Donnerhall daherbraust: „Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muß.“ In einer Kapitelüberschrift braust es noch mehr: „Wofür sterben – und wofür töten?“ Was für ein Kämpfer vor dem Herrn, dem so was aus der Feder fließt! Der sorgenvolle Leser wünscht dem Autor spontan einen Eisbeutel zur Kühlung des Gehirns.

Doch keine Bange, Bernd Ulrich, einst Mitarbeiter der grünen Bundestagsfraktion, heute Stellvertretender Chefredakteur der Zeit, wirft nur eine Schreibtischexistenz in die Schanze. Er will – wie alle Liberalen – für gar nichts sterben. Muß er auch nicht. Als Wehrdienstverweigerer hat er für den Ernstfall vorgesorgt. Er ist bloß ein Konvertit, der es vom Gesinnungsethiker zum Verantwortungsbellizisten gebracht hat.

Wofür also sollen junge Deutsche heute kämpfen und sterben? Für das eigene Land jedenfalls nicht, sondern: Weil die Bundesrepublik 1990 größer und souverän geworden ist. Weil sie deshalb Verantwortung hat. Weil Joschka Fischer und Daniel („Dany“) Cohn-Bendit uns anläßlich des Jugoslawien-Krieges aus der „Pazifismusfalle“ befreit haben. Weil im Bücherschrank von Ulrichs Großeltern die Werke von Machiavelli, Bismarck, Nietzsche, Spengler und Hans Grimm einträchtig nebeneinander standen: „eine bildungsbürgerliche Verführung zur Ideologie der Nazis“. Weil das eine Schande war! Weil Ulrich am 11. September 2001 dachte, daß für Deutschland die Gelegenheit gekommen sei, den Amerikanern „etwas zurückzugeben für die Befreiung von Hitler und die jahrzehntelange Unterstützung“. Und weil wir Interessen haben und Werte, die das westliche Bündnis für uns festlegt und die wir nötigenfalls auch militärisch vertreten beziehungsweise implementieren müssen.

Wie im Irak, wo der oberste westliche Wert – die Menschenrechte – für etwa eine Million Menschen zur Totschlagkeule wurde? Den Irak-Krieg hält Ulrich für falsch. Die Interventionen im Kosovo und in Libyen, von denen er ebenfalls keine Ahnung hat, hält er dagegen für richtig. Als Faustregel gilt ihm: „Von Amerika lernen heißt siegen lernen!“ Wenn es anders kommt, kann man sich damit trösten, daß Amerikaner vor allem aus Idealismus handeln, und da schießt man schon mal übers Ziel hinaus. Ganz schlimm dagegen die Russen, die im UN-Sicherheitsrat gegen die „humanitären Einsätze“ der Nato stimmen: Ihre Resolutionspolitik ist „vor allem machtpolitisch motiviert, das Völkerrecht ein Werkzeug in (ihren) Händen“.

Mag die Situation auch schwer überschaubar sein, eine Letztgewißheit bleibt: Wenn die „Sicherheit Israels“ gefährdet ist, schlägt für Deutschland die „Stunde der Bewährung“, dekretiert er in den Worten der Kanzlerin. Ganz nahe fühlt Ulrich sich den deutschen Politikern, wenn sie in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem „für die Verbrechen eines Volkes stehen, denen der Stempel der Ewigkeit aufgedrückt ist“. Der deutsche Kriegertod, der sich fürs Vaterland nicht lohnt, für Israel ist er angängig. Ulrich, der im Buch so viele persönliche Anekdoten mitteilt, verschweigt uns leider, ob und wie er seinen Sohn für diese persönliche Bewährungsstunde präpariert.

Doch versuchen wir, seine Streitschrift im positiven Licht zu sehen. Es handelt sich um den Versuch des Autors, seine Gedanken zur Sicherheitspolitik zu ordnen. Aber – und da sind wir schon wieder beim Negativen – auf was für miserablem Niveau! In schöner Ahnungslosigkeit preist Ulrich an, wovor Carl Schmitt eindringlich warnte: vor der Rückverwandlung des gehegten Staaten- in den Weltanschauungskrieg, in dem das Gute gegen das Böse kämpft. Dieser Kampf läßt keinen Kompromiß mit dem Gegner zu, sondern er zielt auf die Vernichtung des Feindes und wird total – mit den bekannten Kollateralschäden.

Warum überhaupt so viele Worte um dieses Buch, in dem nichts zu Ende gedacht ist? Weil es die Genese der nachgewachsenen, rotgrün durchwirkten Funktionseliten demonstriert. Ulrich, der „Nie-wieder-Krieg“-Rufer der 1980er Jahre, ist zunächst einmal das Kind einer deutschen Kriegsgeneration und einer „verletzten Nation“ (Elisabeth Noelle-Neumann). Er protestierte gegen die Raketen-Nachrüstung, die Helmut Schmidt als Kanzler auslöste. Heute denkt Zeit-Herausgeber Schmidt über Militäreinsätze viel skeptischer als Ulrich, der wiederum über Schmidts damalige Kaltblütigkeit staunt. Der Kanzler, um eine atomare Erpressung Deutschlands durch die Sowjetunion abzuwenden, regte die Stationierung neuer US-Atomraketen an, die im Angriffsfall den Gegenschlag führen konnten. Damit saß die westliche Supermacht mit den Deutschen automatisch im Boot, was wiederum die Sowjetunion abschrecken sollte.

Eine bestechende Logik, die den Nachteil hatte, daß Deutschland damit zur Weltgegend mit der größten Dichte an Atomwaffen wurde, über die es als Nicht-Atommacht keine Verfügungsgewalt besaß, die es im Ernstfall aber zum bevorzugten Zielobjekt machen würden. Gegen diesen finalen Objekt- und Opferstatus ist Ulrich über den Stationionierungsbeschluß des Bundestages vom November 1983 hinaus angerannt: als Anführer eine Aktivistengruppe, die US-Militärmanöver zu stören versuchte. Sein Saulus-Paulus-Erlebnis ereilte ihn, als ein Mitglied seiner Gruppe mit einem Blindenstock auf einen US-Panzer einschlug, der auf brüllenden Leerlauf geschaltet hatte. In dem Moment empfand er die Aussichtslosigkeit seines Tuns.

Die Szene erinnert an den Tagebucheintrag, zu dem Ernst Jünger am 11. April 1945 von vorbeirasselnden amerikanischen Panzern inspiriert wurde: „Von einer solchen Niederlage erholt man sich nicht wieder wie einst nach Jena oder nach Sedan. Sie deutet eine Wende im Leben der Völker an.“ Jünger perfektionierte danach seinen stereoskopischen Blick. Ulrich läuft heute den Panzern hinterher.

So, und jetzt her mit den Eisbeuteln!

Bernd Ulrich: Wofür Deutschland Krieg führen darf. Und muß. Eine Streitschrift. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011, gebunden, 192 Seiten,14,95 Euro

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