© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Ende der Energiesicherheit
Bis das Licht ausgeht
Konrad Kleinknecht

Der überstürzte Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie hat schwerwiegende Folgen: Deutschland wird massiv Strom aus den Kernreaktoren der Nachbarländer Frankreich, Tschechien und der Schweiz importieren und viele Kohle- und Gaskraftwerke bauen müssen. Die Emissionen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) werden ansteigen, und die Klimaziele der Regierung können nicht erreicht werden. Der Anstieg der Strompreise durch die Einspeisung der erneuerbaren Energien und den Zwang zum Kauf von CO2-Zertifikaten wird Deutschland als Standort für die energieintensiven Industriezweige benachteiligen und viele Arbeitsplätze gefährden.

Die deutsche Stromversorgung ruhte im Jahr 2010 auf zwei Säulen: der Kernenergie und der Verbrennung von Kohle und Erdgas. Hinzu kamen ein kleiner Anteil von zeitlich konstanter Energie aus Laufwasserkraftwerken und Biomasseverbrennung sowie zeitlich variable Anteile aus Windkraft und Photovoltaik.

Der Ausbau der erneuerbaren Energiequellen war erklärtes Ziel der Regierung, und die im September 2010 von ihr beschlossene Laufzeitverlängerung der Kernreaktoren gab den Energieversorgern die Möglichkeit, mit ihren Gewinnen Windkraftanlagen auf hoher See in großem Umfang zu finanzieren. Das Ziel, bis zum Jahr 2020 einen Anteil von 30 Prozent am Strombedarf durch erneuerbare Quellen bereitzustellen und gleichzeitig die Kohlendioxidemissionen zu verringern, hätte damit erreicht werden können.

In Deutschland hat sich durch die Havarie in Fukushima sachlich nichts verändert. Die Sicherheit unserer Kernkraftwerke ist gleich geblieben, Tsunamis kommen nicht vor, Erdbeben sind tausendmal schwächer als in Japan, und gegen Flugzeugentführer helfen Passagierkontrollen und Vernebelungsstrategien. Trotz der unveränderten Sicherheitslage in Deutschland empfand die Bundeskanzlerin die Katastrophe in Japan als „Einschnitt für die Welt und mich persönlich“. Sie habe eine neue Bewertung vorgenommen. Kernenergieunfälle seien nicht sicher beherrschbar. Sie entschied, die sieben ältesten Kernreaktoren durch ein Moratorium sofort abzuschalten.

Die Reaktorsicherheitskommission sollte die Sicherheit der Reaktoren überprüfen, und eine ad hoc von der Kanzlerin eingesetzte Ethikkommission sollte über den Ausstieg aus der Kernenergie beraten. Allerdings erklärte der Vorsitzende dieser Kommission, Klaus Töpfer, schon vor dem Beginn der Beratungen, das Ergebnis solle der Ausstieg aus der Nutzung der Kernenergie sein. Die Kommission hat diese Empfehlung in ihrem Bericht auch ausgesprochen.

Erstaunlich ist dabei, daß sie einerseits fordert, der Zeitrahmen für den Ausstieg müsse so bemessen sein, daß eine alternative Stromerzeugung aufgebaut werden kann, aber andererseits dafür einen engen Zeitrahmen von zehn Jahren empfiehlt.

An keiner Stelle des Berichtes wird der Versuch unternommen, für diese kühne Forderung eine konkrete quantitative Begründung zu geben. Für die Umstellung unserer gesamten Stromversorgung und damit unserer Wirtschaft ist das ein unrealistisch kurzer Zeitraum, der weniger auf rationalen Überlegungen als auf dem Prinzip Hoffnung beruht.

Die Regierung und der Bundestag haben diesen Zeitrahmen übernommen, ohne die Folgen genau zu übersehen. Unter Zeitdruck konnte im Parlament und seinen Ausschüssen keine breite öffentliche Diskussion geführt werden, wie es bei einer so wichtigen Entscheidung angebracht gewesen wäre. Es fehlt eine belastbare empirische Begründung, um die Fragen nach der Versorgungssicherheit, der Finanzierbarkeit, den Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung und die soziale Verträglichkeit angemessen behandeln zu können.

Im Gegensatz zu dem Ausstiegsplan der Regierung Schröder, der mit der Industrie abgestimmt war und von dieser als realisierbar eingeschätzt wurde, ist dieses Gesetz ohne Anhörung der Industrie und gegen sie beschlossen worden. Dadurch müssen die vier überregionalen Energieversorger große Vermögensverluste hinnehmen, die ihre Fähigkeit schwächen, in den Aufbau der erneuerbaren Energien und der benötigten fossilen Kraftwerke zu investieren.

Wenn die Geschwindigkeit des Ausbaus erneuerbarer Energiequellen gegenüber den vergangenen Jahrzehnten verdoppelt wird, so ist eine weitere Steigerung in den nächsten zehn Jahren auf 25 oder 30 Prozent denkbar. Der Zuwachs wird vorwiegend durch den Ausbau der Windkraft auf der offenen Nord- und Ostsee erreicht werden. Im Binnenland gibt es nicht mehr genügend windreiche Standorte. Als Pilotanlage wurde 2010 der Windpark Alpha Ventus nach vierjähriger Bauzeit fertiggestellt. Dort stehen zwölf 150 Meter hohe Türme, die jeweils fünf Megawatt Spitzenleistung liefern können.

Die Investitionskosten beliefen sich auf 250 Millionen Euro, die jährliche Energieeinspeisung beträgt 250 Millionen Kilowattstunden. Die Bundesregierung hat 20 Plätze in der Nord- und Ostsee für solche Windparks genehmigt, weitere 30 Standorte sind geplant. Um bis 2020 die Einspeisung der Windenergie auf 80 Milliarden Kilowattstunden zu verdoppeln, müssen nach dem Plan des Bundesumweltministers insgesamt 2.000 Turbinen im offenen Meer installiert werden. Dies sind 160 Windparks der Größe von Alpha Ventus.

Es ist zweifelhaft, ob dieses riesige Projekt in zehn Jahren zu verwirklichen ist. Falls es gelingen sollte, liefern die Windparks soviel elektrische Energie wie acht große Kohlekraftwerke zum Investitionspreis von 40 Kohlekraftwerken. Für die technische Umsetzung, die bürokratische Genehmigung und den Aufbau der Seekabel zur Küste und der Hochspannungsleitungen von der Küste ins Binnenland werden nach Abschätzungen der Deutschen Energieagentur mindestens zehn Jahre Zeit benötigt. Auch die Finanzierung der großen Investitionssumme ist schwierig, da die großen Stromversorger durch den Ausstiegsbeschluß Verluste hinnehmen müssen.

Der Beitrag der Photovoltaik liegt trotz der enormen Subventionen durch die Einspeisungsgebühr des Energieeinspeisegesetzes im Jahr 2010 nur bei knapp zwei Prozent des Strombedarfs. Die auf 20 Jahre garantierten Einspeisevergütungen für die bis 2010 installierten Photovoltaikanlagen addieren sich auf 85,4 Milliarden Euro, die über den Strompreis finanziert werden. Die Ökobilanz der gegenwärtig eingebauten Solarpaneele aus dicken Siliziumschichten leidet darunter, daß das Silizium unter großem Elektrizitätsbedarf aus Quarzsand erschmolzen und anschließend in chemischen Verfahren zu hochreinem Solarsilizium umgewandelt werden muß.

Der Energieaufwand der Paneele ist so hoch, daß die Rückgewinnung der Energie im sonnenarmen Deutschland jeweils drei bis fünf Jahre Betrieb erfordert. Günstiger wäre die Verwendung von Dünnschichttechnologien oder die Cadmium-Tellur-Photovoltaik. Die deutschen Firmen haben diese alternativen Techniken nicht genügend weiterentwickelt, so daß die Kosten ihrer Module hoch geblieben sind und die asiatische Konkurrenz im deutschen Markt dominiert. Das Energieeinspeisegesetz dient so dem Aufbau der Solarindustrie in Asien.

Sowohl die Windkraft wie die Photovoltaik liefern Strom nur für günstige Zeitperioden. Die volle Leistung erreichen Windkraftwerke an Land durchschnittlich während vier Stunden und im Meer während zehn Stunden am Tag, die Photovoltaik während zweieinhalb Stunden am Tag. Die konstant benötigte Grundlast an Strom für Industrie und Haushalte wird zur Zeit je zur Hälfte von Braunkohle und Kernkraft getragen. Diesen Bedarf können die erneuerbaren Energiequellen für die nächsten 20 Jahre nicht zuverlässig liefern.

Wenn die Leistung der an der Nordseeküste oder auf offener See installierten Windkraftwerke in Norddeutschland nicht abgenommen werden kann, muß sie nach Skandinavien exportiert werden, gegen Abnahmegebühr freilich. Für den Transport nach Süden fehlt es an Hochspannungsleitungen. Nach Berechnungen der Deutschen Energieagentur ist der Bau von 3.600 Kilometern solcher Höchstspannungsleitungen von Nord nach Süd notwendig. Die gegenwärtig geplanten Vorhaben werden von diversen Bürgerinitiativen bekämpft und von Verwaltungsgerichten um Jahre verzögert.

Im Gegensatz zur Schweiz oder Österreich verfügt Deutschland aber nur in den Mittelgebirgen über die nötigen Höhenunterschiede für Pumpspeicherkraftwerke. In Sachsen und im Schwarzwald liegen die leistungsfähigsten Anlagen, aber ihre Kapazität reicht nicht aus, um den Speicherbedarf zu decken. Gegenwärtig haben alle Pumpspeicherkraftwerke im Süden eine Kapazität von 30 Millionen Kilowattstunden.

Die Energie, die die 21.585 Windkraftwerke an der Nord- und Ostseeküste in acht Stunden erzeugen, ist zehnmal größer. Der Ausbau der Speicher im Süden hätte also höchste Priorität. Allerdings stößt das einzige Großprojekt für solche Speicher, die Erweiterung des Schluchseekraftwerks bei Atdorf auf Widerstand der Anwohner. In den nächsten zehn Jahren wird in Deutschland also höchstens ein neues Pumpspeicherwerk gebaut werden.

Da sowohl der Ausbau der Hochspannungstrassen von Nord nach Süd als auch der Bau neuer Pumpspeicherkraftwerke im Süden durch Bürgerinitiativen verzögert wird, ist es nicht sicher, ob der beabsichtigte Ausbau der Windkraft im Norden dem Süden des Landes helfen kann. Es zeigt sich eine regionale Asymmetrie: Die leistungsfähigen Industriestandorte in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die bisher mehr als 50 Prozent ihrer elektrischen Energie aus Kernkraftwerken bezogen, können die Grundlast ihrer Stromversorgung nur zum kleinen Teil aus erneuerbaren Energiequellen ersetzen.

Windkraft im Süden ist wesentlich weniger ertragreich als an der Küste oder auf dem Meer, weil die Leistung solcher Anlagen mit der dritten Potenz der mittleren Windgeschwindigkeit abnimmt. Steht eine Windkraftanlage also in einem Gebiet, in dem die mittlere Windgeschwindigkeit halb so groß ist wie an der Küste, dann entspricht ihre Leistung nur einem Achtel einer gleichwertigen Anlage in Küstennähe. Die südlichen Bundesländer sind nach der Abschaltung ihrer Kernkraftwerke darauf angewiesen, auf importierten Strom aus Tschechien, Frankreich und der Schweiz auszuweichen und neue fossile Kraftwerke zu bauen. Die derzeit im Bau befindlichen elf Kohlekraftwerke und die weiteren elf geplanten liegen allerdings hauptsächlich im Norden und Westen.

In Bayern sind im Augenblick nur Pläne für Gaskraftwerke mit russischem Gas bekannt. Der Einsatz von Flüssiggas aus Katar ist noch nicht möglich, da kein deutscher Hafen zum Gasterminal ausgebaut worden ist. Die Kohle für Kraftwerke im Süden muß beispielsweise aus Australien über den Rhein oder das Schwarze Meer und die Donau transportiert werden. Die Versorgung Süddeutschlands ist mittelfristig ungesichert. Der wirtschaftliche Schaden kann beträchtlich sein, wenn in der zweitgrößten Exportnation der Welt die Lichter ausgehen. Sicher ist dagegen: Deutschland wird seine hochgesteckten Klimaschutzziele verfehlen.

 

Prof. Dr. Konrad Kleinknecht, Jahr-gang 1940, war seit 1972 als Professor für Teilchenphysik an der Universität Dortmund tätig und lehrt seit 1985 in Mainz. 1990 erhielt er den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Foto: Abschied von der Glühbirne: Die Energiewende der Bundesregierung stellt die Vorsorgungssicherheit hierzulande in Frage

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