© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Pflaster über dem Hakenkreuz
Drama: „Die Kriegerin“ von David Wnendt formuliert keine Moralbotschaft
Ellen Kositza

Soviel Rummel um einen Abschlußfilm eines Filmhochschulabsolventen war selten. Allenthalben wird David Wnendts Regiedebüt „Die Kriegerin“ besprochen, hochgelobt, ja gefeiert. Neben reichlich öffentlichen Geldern aus der Filmförderung und einem Netzwerk aus Unterstützern – namentlich „antifaschistische“ Initiativen wie Miteinander e.V., Exit Deutschland und andere – verhalf dem Streifen ein Politikum aus dem echten Leben zu erhöhter Aufmerksamkeit: Fast wirkt es, als hätte Wnendt mit seinem in Sachsen-Anhalt gedrehten Neonazi-Drama eine mögliche Vorgeschichte der mutmaßlichen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ verfilmt.

Um es vorwegzunehmen: Es ist ein erstklassiger Film.

Eingangs- und Schlußzene umklammern die Geschichte. Wir sehen die Ostsee (bei Prora), hoch wogen die Wellen, eine zunächst hell-naive Mädchenstimme spricht: „Demokratie ist das Beste, was wir je auf deutschem Boden hatten. Wir sind alle gleich. Es gibt kein Oben und kein Unten. In einer Demokratie kann jeder mitbestimmen. Du, ich (die Stimme wird zunehmend härter), Alkoholiker, Junkies, Kinderschänder, Neger, Leute, die zu blöd sind, ihren Hauptschulabschluß zu schaffen.“ Wir sehen zwei Frauen im kalten Sand liegen. Nun wird ihre Geschichte aufgerollt.

Marisa ist eine Renee, ein Skinhead-Mädel, wie es im Buche steht: kurzrasierte Haare, an den Seiten und im Nacken von einem strähnigen Federkranz umrahmt, der Körper übersät von Tätowierungen der einschlägigen Art, neonazistische Zahlensymbole, Totenköpfe, über der Brust ein Reichsadler. Das Hakenkreuz überklebt sie im Alltag mit einem Pflaster. Sie arbeitet im kleinstädtischen Einkaufsladen ihrer Mutter, ihre Freizeit verbringt sie mit ihrer Skinheadclique. Man feiert, säuft, hört aggressive Musik und sucht Ärger. Wenn in der Regionalbahn ein paar Asiaten „aufgemischt“ werden, steht Marisa nicht zurück. Wegen einer dieser gewalttätigen Haßaktionen wandert ihr Freund Sandro für einige Zeit ins Gefängnis. Außer ihm liebt Marisa Tiere und – sehr innig und zart – ihren Großvater, den sie, die Vaterlose, regelmäßig im Krankenhaus besucht.

Marisa liebt und haßt radikal. „Sowas bediene ich nicht“, sagt sie tonlos mit verschränkten Armen, als zwei Asylbewerber mit Lebensmittelgutschein an der Kasse stehen. Später trifft sie die beiden wieder, laut planschend an dem kleinen See, an dem Marisa gerade mit ihren Freunden grillt. Die Neonazis fühlen sich gestört, die Fremden werden vertrieben. Als Marisa zu ihrem Auto geht, ist der Außenspiegel demoliert. Das schreit nach Rache! Motor an, Musik laut: „Holocaust reloaded!“ dröhnt es, als sie die beiden Mopedfahrer auf der Landstraße vor sich hat. Beim Überholen ein aggressiver Schwenk nach rechts, ein harter Ruck, Moped und Menschen sind verschwunden. Marisa schluckt – und kehrt um an den See, schluckt dort wieder – eine Menge Bier. Sind die beiden tot? Die Unfallstelle ist markiert, an der Böschung klebt Blut. Marisa schweigt. Taten, nicht Worte, sagt Sandro immer, und der Großvater spürt sofort, daß Unheil in der Luft liegt.

Anderntags kommt der jüngere der beiden Ausländer wieder in den Laden. Von schlechtem Gewissen und seinen eindringlichen Blicken geplagt, schaut sie weg, als er ein paar Lebensmittel unter seine Jacke steckt. Rasul wird fortan zu Marisas Schatten.

Unterdessen ist da Svenja, 15jährige Einserschülerin, die sich unter der Knute des Stiefvaters zunehmend unwohl fühlt. Sie beginnt eine Liebelei mit einem Angestellten des Stiefvaters, einem der Neonazis. Eine knallige Möglichkeit des Protests tut sich auf – Svenja will dabeisein bei den rauschhaften Parties, ist beeindruckt von der Wildheit, der Dynamik, der Hierarchie in diesem Kreis, der habituellen Grenzüberschreitung. Mit erhobenem rechten Arm durch das Städtchen fahren, vorbei an den fremdländischen Assis am China-Imbiß, johlend gestützt durch die autochthonen Assis – gäbe es einen wirkmächtigeren Protest im Rahmen der existentiellen Sackgasse, in der sie sich sieht?

Am Ende treffen das entgegensetzte Unbehagen von Marisa und Svenja aufeinander, es endet in einer Tragödie.

Der abgenudelte Terminus der Authentizität, hier bei diesem Film trifft er zu. David Wnendt hätte statt der elfengleichen, bildhübschen Alina Lev-shin (durch ihre Hauptrolle in Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ unvergeßlich geworden) eine Darstellerin wählen können, die wenigstens in ihren haßerfüllten Momenten unansehnlich wirkte. Er hätte den renitenten, verschlagenen Rasul als Unschuldsengel zeichnen können, die Asylanten als blitzsaubere Opfer, den Nazi-Großvater als Unmensch. Die Schächtszenen eines NS-Propagandafilms hätte er durch KZ-Leichenberge austauschen könne. Er hat darauf ebenso verzichtet wie auf jegliche Verwendung der Begriffe rechts und links. Wnendt hat keine Pappkameraden aufgebaut, keine Kulissen geschoben. Er hat es sogar unterlassen, eine Moral zu formulieren.

Es gab einen solchen Film schon einmal, 1992, eine australische Produktion, „Romper Stomper“. Wnendt muß diesen Film kennen; die Schlußszene der „Kriegerin“ ist gar ein direktes Zitat. „Romper Stomper“, mit dem damals noch unbekannten Russell Crowe in der Hauptrolle, wurde ebenfalls hochgelobt und ausgezeichnet. Unter Neonazis ist er bis heute ein Kultfilm.

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