© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Rasen bis ans Ende der Nacht
Actionkrimi: „Drive“ von Nicolas Winding Refn überzeugt durch seine Atmosphäre und Bildästhetik
Claus-M. Wolfschlag

Spätestens seit den letztjährigen Filmfestspielen in Cannes ist Nicolas Winding Refn in der Filmwelt ein Begriff geworden. Er erhielt für sein neuestes Werk „Drive“ den Regiepreis zuerkannt. Die Anerkennung war zweifelsfrei begründet, denn meisterhaft gelingt Refn in dem Film die Verbindung aus Poetik und eruptiven Einbrüchen brutaler Gewalt.

Das überrascht nicht, denn wer die bisherigen Arbeiten des 1970 in Kopenhagen geborenen Regisseurs und Drehbuchautors kennt, der weiß, daß die Symbiose aus Gewalt und Ästhetik zu seinem immer perfekter entwickelten Handwerk gehört. Das trifft sowohl für die im Drogenmilieu spielende „Pusher“-Reihe (1996, 2004, 2005) zu wie für die Beschreibung des düsteren Trips einer Gruppe von Wikinger-Kriegern in „Walhalla Rising“ (2009). Dennoch gleitet sein neuer Film „Drive“ keinesfalls in Gewaltpornographie ab.

Der Film startet vielmehr ganz langsam als Schilderung einer beginnenden Liebe unter schweren Vorzeichen: Der junge namenlose Hauptprotagonist (Ryan Gosling), von allen nur „Driver“ genannt, arbeitet tagsüber als Automechaniker und Stuntman für Hollywoodstreifen. Doch der wortkarge Einzelgänger hat auch ein zweites Gesicht. Gelegentlich übernimmt er nachts illegale Jobs, bei denen er als Fahrer von Fluchtfahrzeugen für gewalttätige Einbrecher arbeitet. Er ist ein ausgezeichneter Autofahrer, so daß sein stets finanzschwacher Chef bald den Plan entwickelt, ihn für zwei zwielichtige Mafia-Bosse bei Autorennen antreten zu lassen.

In dieser Zeit lernt der in einem schlichten Apartmenthaus lebende Driver zufällig seine neue Nachbarin Irene (Carey Mulligan) kennen, eine alleinerziehende Mutter. Langsam entwickeln sich zwischen den beiden Liebesbedürftigen zärtliche Bande. Man macht Ausflüge, lädt einander zum Essen ein. Doch bevor alles richtig losgeht, platzt eine Meldung zwischen das sich entwickelnde Glück: Irenes im Gefängnis einsitzender Ehemann Standard (Oscar Isaac), Vater ihres Sohnes, wird entlassen. Driver zieht sich dezent zurück, während in der Nachbarwohnung die Rückkehr des Gestrauchelten gefeiert wird, zu der die innerlich zerrissene Irene nur äußerlich gute Miene macht. Und kurze Zeit später endet die Partystimmung, als sich alte Freunde bei der Familie anmelden, denen Standard noch Geld schuldet. Da von diesen auch Irene und ihr kleiner Sohn bedroht werden, fühlt sich Driver in der Pflicht, Standard bei seinem letzten Auftrag als Fahrer zu helfen. Doch die Sache geht schief, und Driver findet sich in einer für ihn selbst lebensgefährlichen Situation wieder.

Regisseur Refn präsentiert einen gebrochenen Helden, der einige Parallelen zur Figur des Travis Bickle in Martin Scorseses „Taxi Driver“ von 1976 aufweist. Auch wenn Driver jegliche psychopathischen Züge fehlen, ist er ein Mensch, hinter dessen äußerlicher Ruhe und Unauffälligkeit sich ein „gewaltiger Speicher für eine geradezu rasende Energie und leicht entflammbare Gewalt“ verbirgt, wie Ryan Gosling über seine Rolle berichtet. So funktioniert der junge Mann nicht nur als Fluchtwagen-Fahrer mit atemberaubender Reaktionsschnelligkeit, sondern geht auch in der handfesten Auseinandersetzung bis an die Grenzen der körperlichen Selbstausbeutung.

Der Film setzt indes Gewalt nur temporär, in wenigen Momenten ein, wenngleich dann aber als höchst effektiver Schock. Und so ist es Carey Mulligan vorbehalten, den Ruhepol als Gegengewicht zu liefern, der den Actionkrimi weitenteils zum Liebesfilm macht. Mulligan brillierte erst vor kurzem in Mark Romaneks tieftraurigen Science-fiction „Alles, was wir geben mußten“. Nun kann sie in der Rolle der Irene erneut ihr Talent für introvertierte Rollen ausspielen, bei denen Blicke und Gesten mehr als Worte sagen. So trägt sie, wie auch die anderen glänzend besetzten und gespielten Figuren, dazu bei, Refns Großstadtkrimi zu einem kleinen cineastischen Meisterwerk werden zu lassen.

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