© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

„Kleinigkeiten werden zu großen Problemen“
Interview: Ein Offizier berichtet über die aktuelle Lage
Marcus Schmidt

In den für die Öffentlichkeit bestimmten Berichten des Verteidigungsminsiteriums wird ständig auf die angeblichen Fortschritte bei der Befriedung Afghanistans verwiesen. Die JUNGE FREIHEIT sprach mit einem Offizier, der derzeit in einem Feldlager in Afghanistan stationiert ist und genauen Einblick in die aktuelle Lage hat. Er möchte unerkannt bleiben.

Wie ist die Lage in Afghanistan?

Frank B.: Die Lage ist derzeit verhältnismäßig ruhig. Durch die große Offensive gerade im Raum Kunduz im Herbst 2010 konnten die Aufständischen zumindest aus dem leider berühmt gewordenen Distrikt Chahar Darreh zurückgedrängt werden. Derzeit sind diese in einer eher passiven Haltung und beschränken sich schon seit sechs Monaten nur auf feige und hinterhältige Anschläge mit Sprengsätzen. Glücklicherweise haben wir seit Ende Mai 2011 keine weiteren Toten mehr zu verzeichnen.

Woran liegt das?

Frank B.: In meinen Augen ist dafür die seit Anfang 2010 strikt umgesetzte Counter-Insurgency-Strategie verantwortlich, die, von General Petraeus im Irak begründet, von General McChrystal auch in Afghanistan eingeführt wurde. In dieser Strategie steht die Bevölkerung im Fokus. Ziel ist es, quasi die Herzen und Köpfe zu gewinnen und so dem „Fisch das Wasser abzugraben“, weil der Aufständische einfach innerhalb der Bevölkerung leben kann. Dieses fruchtet derzeit und erzielt tatsächlich gute Effekte. Auch das „Wiedereingliederungsprogramm“, also die ausgestreckte Hand den „gemäßigten Taliban“ gegenüber, ist erfolgversprechend.

Wie ist die Stimmung in der Truppe?

Frank B.: Die Stimmung ist verhältnismäßig gut. Oder, um es anders zu sagen: Bis auf die einsatztypischen Dinge (Heimweh, wenig Privatsphäre, Gefährdung bei Patrouillen) sind auch in Deutschland typische „Unmutsbekundungen“ zu hören. Vielleicht etwas intensiver, aber wenn man sechs Monate draußen im Felde immer das gleiche ißt auch verständlich. Da werden halt Kleinigkeiten zu großen Problemen.

Wie ist das Verhältnis zu der einheimischen Bevölkerung?

Frank B.: Das Verhältnis ist gut. Teilweise sind die Leute vielleicht eingeschüchtert, aber der Ansatz greift. Wir können hier effektiv vertrauenbildend auftreten. Zwar sind da manchmal auch Abstriche zu machen, wenn die Leute denken, daß wir den großen Geldsegen mitbringen, aber das ist bei den Lebensbedingungen nicht zu verdenken. Daß der eine oder andere Afghane uns Deutsche als Blutsverwandte ansieht, mag uns das Leben auch einfacher machen als den Amerikanern. Zumindest wird man oft auf diese „Verwandtschaft“ und darauf begründete Freundschaft angesprochen.

Was passiert, wenn die Isaf-Truppen abziehen?

Frank B.: Das ist die große Frage. Derzeit würde ich sagen, daß alles möglich ist. Es ist noch ein weiter Weg, bis die Bevölkerung endgültig den Aufständischen die Unterstützung verwehrt (wenn man mir eine Kalaschnikow an den Kopf hält, würde ich wahrscheinlich auch helfen) – aber es sind noch zwei Jahre, wenn man dem Datum 2014 trauen kann, in denen die effektiv arbeiten können. Der größte Unsicherheitsfaktor sind dabei die „local security forces“, also die Dorfmilizen.

 

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