© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Straßenblockaden
Antidemokratischer Psycho-Terror
Rolf Stolz

Straßenblockaden gegen Machthaber, die das Volk niederknüppeln, sind notwendig und großartig. Straßenblockaden, um friedliche Meinungsäußerungen zu verhindern, sind auch dann verheerend, wenn die bekämpften Meinungen fragwürdig bis hirnrissig sein mögen. Der antidemokratische Psycho-Terror beginnt in den Köpfen: in Denk-Blockaden, in selbstverordneter Unmündigkeit.

Wer wie ich sein ganzes politisches Leben gegen tatsächliche Nazis gekämpft hat, sieht sich heute einem überparteilichen Mob gegenüber, der mit seinem Alleinvertretungsanspruch alle Andersdenkenden gleich- und ausschalten will. Linksterroristen werden aus dieser Ecke allenfalls milde als „Steinewerfer“ kritisiert – die „RAF“-Morde sind ebenso ausgeblendet wie die Mauermorde. Die Dunkelmänner, die Anti-Aufklärer verordnen ein Welt- und Geschichtsbild, das jedes Nachfragen, Nachforschen, Nachdenken unterbinden will. Wenn das dortige Oberlandesgericht Kranzniederlegungen in Dresden als Provokation „gegen gesellschaftliche und politische Tabus“ und Verharmlosung der Verbrechen der Nationalsozialisten schmäht, dann ist das auf einer Wellenlänge mit Volkspädagogen, die die deutsche Alleinschuld an zwei Weltkriegen als Dogma herbeten und alliierte Kriegsverbrechen als gerechte Strafe sehen. Mörder und Helden, Verräter und Heilige finden sich auf allen Seiten, in allen Völkern. Wer eine Kollektivschuld aller Linken für den Gulag oder aller Rechten für Auschwitz, aller Deutschen für die KZ- und Kriegsgreuel oder aller Polen, Tschechen usw. für die Vertreibungsgreuel phantasiert, der will den Bürgerkrieg und den Krieg zwischen den Nationen.

Erinnern und Sühne sind lebenswichtig. Der Bomben- und der Bodenterror 1945 gegen die Besiegten zwischen Nemmersdorf und Dresden dürfen ebensowenig totgeschwiegen werden wie die seelische Tötung durch Vergewaltigung, wie die Massenmorde durch die Vertreiber- und Landraubstaaten. Dies gilt für all die zahllosen Massaker der Geschichte – an Juden, an Armeniern, an Aramäern, an Polen in Katyn, an Griechen in Smyrna, an Christen weltweit. Unser Land muß daher nach zwanzig Jahren Nachwende-Muff endlich mehr Demokratie und eine offene Debatte wagen, muß zu sich selbst und zu seinem Überlebenskampf finden und ausbrechen aus Erstarrung und Blockaden.

 

Rolf Stolz war Mitbegründer der Grünen und lebt als Publizist in Köln.

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