© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/12 27. Januar 2012

Das Schweigen brechen
Organisierte Kriminalität: Schleichende Unterwanderung von Staat und Wirtschaft
Jan Timke

Eine Mehrheit der Innendeputation des Bremer Landtages hat kürzlich beschlossen, in diesem Jahr nach Italien zu reisen, um sich bei den dortigen Sicherheitsbehörden über die Bekämpfung der Mafia zu informieren. Mein Vorschlag, schon aus Kostengründen lieber nach Berlin zu fahren, um sich von den Experten des Bundeskriminalamtes über die in Deutschland vorhandenen Strukturen und Machenschaften des organisierten Verbrechens aufklären zu lassen, wurde mit einem unverständigen Kopfschütteln quittiert.

Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, wie weit der Irrglaube, die Organisierte Kriminalität (OK) sei ein Phänomen Süd- und Osteuropas, auch unter Deutschlands Politikern verbreitet ist. Dabei sieht die Realität ganz anders aus. Längst ist auch Deutschland in den Fokus der OK geraten, haben sich bei uns dieselben typischen Formen mafiöser Aktivitäten etabliert. Dazu gehören Wettbetrug, Schutzgelderpressung sowie der Waffen-, Drogen- und Menschenhandel. Die Mafia ist das Geschäftsmodell der Organisierten Kriminalität.

Deutschland ist für die OK auch deshalb interessant, weil bei uns die Instrumente zur Bekämpfung dieser besonderen Form des Verbrechens stumpf sind. Es fehlt an Ermittlungsstrategien und gesetzlichen Grundlagen. Auch organisatorisch sind die deutschen Sicherheitsbehörden kaum in der Lage, der global agierenden Mafia hierzulande erfolgreich zu begegnen. Italien ist da viel weiter: Dort gehen etwa 90 Prozent der Ermittlungserfolge im Bereich der OK auf Erkenntnisse zurück, die durch Telefonüberwachung und Lauschangriff gewonnen wurden. Ohne diese Instrumentarien ist das eherne Mafia-Gesetz des Schweigens (Omertà) nicht zu brechen.

Hinzu kommt, daß die Bundesregierung seit den Attentaten vom 11. September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus in den Vordergrund stellt. Deshalb wurden die personellen Ressourcen in den Staatsschutzabteilungen des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter aufgestockt, was zu Lasten des Tätigkeitsfeldes schwere und organisierte Kriminalität ging. Dabei ist die Gefahr, in Deutschland Opfer des organisierten Verbrechens zu werden, um ein Vielfaches höher als die Wahrscheinlichkeit, bei einem Terroranschlag zu Schaden zu kommen.

Die Gefährdung der Inneren Sicherheit geht nicht von einigen hundert Angehörigen diverser Mafiafamilien aus, die sich in Deutschland aufhalten. Die wirkliche Bedrohung resultiert aus der schleichenden Unterwanderung von Staat und Wirtschaft durch das organisierte Verbrechen. Jahr für Jahr investiert die Mafia Hunderte Milliarden Euro aus kriminellen Geschäften in Immobilien, Hotels und Gaststätten und neuerdings sogar in regenerative Energien. So wird das Geld gewaschen. Das ist im großen Stil nur möglich, weil die OK zunehmend Entscheidungsträger in Politik und Verwaltung korrumpiert. Auch in Deutschland.

Die Expansion der Mafia in legale Wirtschaftszweige läßt sich nur stoppen, wenn die aus dem Arzthaftungsrecht bekannte Beweislastumkehr auch im Bereich der OK zur Anwendung kommt. Dann müssen Beschuldigte, die verdächtigt werden, mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung zu stehen, den Nachweis erbringen, daß sie ihr Geld in gesetzmäßiger Weise erworben haben. Außerdem muß der Staat das Vermögen von überführten Angehörigen der Mafia konsequent einziehen. Denn es trägt wenig zur Abschreckung bei, wenn ein Straftäter für einige Jahre hinter Gitter kommt, seine mit illegalen Geldern finanzierten Geschäfte in dieser Zeit aber weiterlaufen und er schließlich als wohlhabender Mann das Gefängnis verläßt. Wer die Mafia erfolgreich bekämpfen will, der muß ihr das Kapital entziehen, und zwar überall dort, wo es sich befindet!

Gleichzeitig sind die gesetzlichen Voraussetzungen zu schaffen, um Polizisten aus den Herkunftsländern der hierzulande tätigen Verbrechersyndikate in die streng abgeschotteten kriminellen Strukturen einschleusen zu können. Deutschen Ermittlern wird in ausländischen Mafiaclans mit erheblichem Mißtrauen begegnet, zumal es auch sprachliche und kulturelle Barrieren gibt. Schließlich bedarf es einer gesetzlichen Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung, um die Strukturen des organisierten Verbrechens und ihre Geldströme aufdecken und zwecks Beweissicherung erheben zu können.

Weil die Mafia in Deutschland weitgehend im Verborgenen agiert, bekommt die breite Masse von deren Aktivitäten kaum etwas mit. Auch in Politik und Presse findet das Thema vergleichsweise wenig Beachtung. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die italienische Mafia ihre Geschäfte zu etwa 90 Prozent durch den bloßen Einsatz von Geld und Einfluß ohne Anwendung von Gewalt abwickelt. Deshalb wird die Bedrohung von Staat und Gesellschaft nicht wahrgenommen und häufig unterschätzt. Und Insider, die um die Gefahr wissen, ziehen es vor, zu schweigen.

Wir müssen das Gesetz der Omertà endlich brechen, bevor es zu spät ist. Wir brauchen wieder eine Kultur des Hinsehens, die von Journalisten, Politikern und Bürgern gleichermaßen geteilt wird. Nur so kann verhindert werden, daß der demokratische Rechtsstaat der Mafia zum Opfer fällt – und das nicht nur im fernen Italien.

 

Jan Timke, 41, Polizeibeamter, ist Vorsitzender der Wählervereinigung Bürger in Wut (BiW) und Abgeordneter der Bremischen Bürgerschaft.

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