© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Der Flaneur
Unter Kulturbürgern
Josef Gottfried

Dresden, in der Eingangshalle eines Museums aus Anlaß irgendeiner Ausstellung. Überall Kulturbürgertum. Und ich: Wild entschlossen, mir meine Ahnungslosigkeit nicht anmerken zu lassen. Ich warte in der Schlange vor der Kasse, Rücken leicht nach vorn gebeugt, Kinn fast auf der Brust, in der rechten Hand mein Smartphone. Mit dem Daumen fahre ich den Touchscreen entlang und schaue mir die Statusmeldungen meiner Facebook-Freunde an.

Als mir auffällt, daß ich ihre Meldungen schon beim Lesen wieder vergesse, hebe ich den Kopf, schaue nach rechts oben, blicke ins Leere und versuche mich zu entsinnen. Jetzt hätte ich gerne einen coffee to go oder eine x-beliebige junge Frau, der ich meinen Arm anbieten könnte. „Ich freue mich voll auf die Ausstellung“, würde ich dann sagen. Oder etwas anderes in der Art. Oder einen geschmackvollen Witz erzählen.

Hinter mir beginnen zwei Herrschaften mittleren Alters zu plaudern. Sie trägt ein atemberaubendes Parfüm und sagt zu ihm, daß ihr der Expressionismus ja nicht gefallen hätte, darum sei sie so sehr auf diese Ausstellung gespannt. Er sagt nur „Hmm“, was wohl Zustimmung bedeuten soll. Sie fährt fort, erwähnt ein paar Künstlernamen und erzählt von einer ähnlichen Ausstellung in einer ähnlichen Stadt in einem anderen Bundesland. Der Mann stimmt abermals zu: „Hmm.“

Während ich mir überlege, wie ich diese Situation als Statusmeldung bei Facebook veröffentlichen könnte, blicke ich unauffällig nach hinten, weil ich mir die beiden gerne mal angucken würde. Offensichtlich nicht unauffällig genug, denn er bemerkt meinen Blick und scheint verlegen zu sein. So als ob ich seine Begleitung beim Blenden erwischt hätte. Ich genieße den Triumph und versuche so gelassen umherzublicken, wie ein Student der Kunstgeschichte das wohl tun würde. von „Hart aber fair“ gingen rasch und kommentarlos darüber hinweg.

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