© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Im Banne von Verschwörungen
Literatur: „Der Friedhof in Prag“ von Umberto Eco
Nils Wegner

Umberto Ecos jüngster Roman „Der Friedhof in Prag“ (Hanser) verwebt klassische Verschwörungstheorien mit tatsächlichen, historischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts zu einer eindrucksvollen Charakterstudie des nur scheinbar ruhigen Europas im aufkommenden Fin de siècle.

Der Protagonist, Simon Simonini, arbeitet im bürgerlichen Leben als Notar, verdingt sich jedoch unter der Hand als professioneller Fälscher. Sein immenses Talent bei dieser Tätigkeit ruft mit der Zeit Vertreter diverser Geheimdienste und verborgener Gesellschaften auf den Plan, die sich seiner für ihre jeweiligen Interessen bedienen wollen. Simonini beteiligt sich gern an den Ränken: Einerseits streicheln seine Erfolge sein Ego, so daß er im Verlaufe der Handlung immer größere Risiken eingeht und zum mehrfachen Mörder wird; andererseits befriedigt die subversive Tätigkeit seine tiefe Misanthropie. Simonini haßt alle und jeden – die ersten 13 Seiten seiner Selbstvorstellung bestehen aus einer einzigen Hetzrede gegen Deutsche, Italiener, Franzosen, Juden, Jesuiten, Freimaurer und vor allem Frauen. Seine einzige Freude auf Erden ist gutes Essen.

Auf Anraten eines bekannten Nervenarztes, „Doktor Froïde“ (der Verweis auf Freud ist unübersehbar), beginnt Simonini ein Tagebuch, um einen scheinbaren Anfall von Amnesie zu überwinden. Im schriftlichen Zwiegespräch mit dem mysteriösen Abbé Dalla Piccola, der die Nachbarwohnung zu bewohnen scheint, erzählt der Fälscher seine Lebensgeschichte von Kindesbeinen an – wird dabei jedoch wiederholt vom Abbé korrigiert. Außerdem schaltet sich ein dritter, allwissender Erzähler zwischen Romanfigur und Leser, der die Handlung zusätzlich kommentiert.

Nicht nur dieser komplizierte, mehrschichtige Erzählaufbau fordert den Leser heraus. Auch ist auf keinen der Erzähler wirklich Verlaß, wie sich im Verlaufe der Handlung herausstellt. Darüber hinaus sind dem Lektorat bei Hanser offensichtlich etliche herbe Schreibfehler entgangen. Doch sollte sich der geneigte Leser davon keinesfalls abschrecken lassen: Mit „Der Friedhof in Prag“ entginge ihm sonst ein intelligenter, spannender und feinsinnig-ironischer Roman, der alle Erwartungen an ein Eco-Buch erfüllt.

Umberto Eco: Der Friedhof in Prag. Hanser, München 2011, gebunden, 528 Seiten, Abbildungen, 26 Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen