© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

Nicht gepflegt vom Ruhme
Preußen-Jubiläum: Friedrich II. und sein begrenztes Verständnis von deutscher Literatur
Günther Deschner

Von Thomas Mann stammt der denkwürdige Satz: „Friedrich schrieb den Antimachiavell, und das war nicht Heuchelei, sondern Literatur.“ Daß neben der politischen auch die persönliche Brillanz Friedrichs außer Frage steht – darüber waren sich Zeitgenossen und seine Biographen einig: Unter den Herrschern seiner Zeit und unter allen Hohenzollernkönigen hat es keinen gegeben, der mit einer solchen Fülle außerordentlicher Talente begabt war wie er.

Friedrich II. war nicht nur exzellenter Stratege und zu Pragmatismus fähiger Staatsmann, sondern er war an Kunst in jeder Form interessiert. Er war eigenständiger Denker, wie sein Frühwerk „Antimachiavell“ belegt, ein Musikliebhaber, der selbst komponierte und musizierte, ein begeisterter Flötenvirtuose und kompetenter Gesprächspartner führender Künstler und Architekten. So skizzierte er beispielsweise selbst sein Potsdamer Schloß Sanssouci und ließ es von Knobelsdorff ausführen, er legte eine bedeutende Gemäldesammlung an, und die „Marcha Real“, die spätere spanische Nationalhymne, stammt aus seiner Feder (JF 2/12). Als intellektueller Schöngeist schrieb er 25 Bücher, die heute kaum einer mehr kennt – und er war ein literarisch ambitionierter Korrespondent.

Tatsächlich verblaßte angesichts der strahlenden Person des Königs und der Vielfalt seiner Begabungen bis heute beinahe sämtliche Kritik an Friedrich II. Aber das Genie hatte auch durchaus menschliche, unvollkommene Züge. Aller Weisheit und Bildung zum Trotz, nicht der vollkommene „Philosoph auf dem Thron“, wie ihn sich mit Blick auf Friedrich sein Gesprächs- und Brieffreund Voltaire erträumt hatte.

Ein aus der Sicht des deutschen Bildungsbürgertums seiner Zeit blamables Ärgernis war Friedrichs 1780 abgeschlossener „Essai de la Littérature Allemande“ – mit dem er den Anspruch erhob, auf dem Parnaß ebenso zu regieren wie auf dem Feldherrnhügel – in französischer Sprache natürlich, denn Deutsch sprach der König nur mangelhaft, und er las auch nicht gerne deutsche Literatur. Die geringen Kenntnisse, die er von ihr hatte, waren in jungen Jahren erworben worden, und dem Aufsatz merkt man das an.

Wer die vierzig Seiten einer „wohlfeilen deutschen Ausgabe“ des Essais „Über die deutsche Literatur, die Mängel, die man ihr vorwerfen kann und die Ursachen derselben“ las, war überrascht, daß der königliche Autor sich mit der deutschen Literatur seiner Zeit, mit Versprosa und Theaterstücken, nur auf weniger als drei Seiten befaßte – doch mehr wußte er kaum von ihr. Außer Goethes „Götz von Berlichingen“, der „im Gefolge der abscheulichen Stücke von Shakespeare“ abgekanzelt wird, werden Autoren nur dann beim Namen genannt, wenn ihre Werke sich mit mehr oder weniger Glück Autoren eines klassischen Kanons an die Seite stellen lassen. So finden Gellerts Fabeln neben Äsops „Phädrus“ noch Gnade, Friedrich von Canitz, ein preußischer Beamter des 17.Jahrhunderts, der vom französischen Klassizismus geprägte Satiren schrieb, wird „erträglich“ genannt – weil er Französisches kopierte?

Goethes unmittelbare Reaktion auf das Strafgericht über den „Götz“ ist vielsagend: „Wenn der König meines Stücks in Unehren gedenkt, ist es mir nichts Befremdendes. Ein Vielgewaltiger, der Menschen zu Tausenden mit eisernem Szepter führt, muß die Produktion eines freien und unerzogenen Knaben unerträglich finden!“

Es traf nicht nur Goethe: Die ganze deutsche Dichtung seiner Zeit hielt Friedrich II. für größtenteils barbarisch. Dabei hatte eine ganze Reihe junger Autoren Berlin bereits in ein literarisches Experimentierfeld verwandelt. Doch als er, der ranghöchste der preußischen Literaten, sich mit seiner Schrift über die deutsche Literatur blamierte, die er nicht kannte – und wegen seines mangelhaften Deutsch auch nicht gerne las – galt ihm als deutsche Literatur alles, was auf deutsch geschrieben war. Über den Rang der einzelnen Dichter und Dichtungen hatte er ein nur ungefähres und oberflächliches Urteil.

Von der Vorstellung einer deutschen Kulturnation, wie sie sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der Literatur herausbildete, war Friedrich nicht ergriffen, fasziniert schon gar nicht. Dabei gab es in seinem Musterstaat durchaus Literaten und Werke, die von Preußen geprägt waren, zum Beispiel die bis heute lebendige „Minna von Barnhelm“, deren Autor, Gotthold Ephraim Lessing, Sachse war. Ihm unter anderem war es zu danken, daß die deutsche Literatur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das kulturelle Zusammengehörigkeitsgefühl der Deutschen stärkte.

Viele Jahre lebte und wirkte Lessing im Preußen Friedrichs, setzte mit Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai der französisch-aristokratischen Aufklärung Friedrichs eine deutsch-bürgerliche entgegen und wurde besonders durch sein Lustspiel über das sächsische Fräulein von Barnhelm und den preußischen Major von Tellheim berühmt. Wiewohl erst 1767 fertiggestellt, gab Lessing auf dem Titelblatt als Entstehungsdatum das Jahr 1763 an, wohl um die Nähe zum Siebenjährigen Krieg zu betonen, vor dessen Hintergrund das Stück spielt.

Hätte Lessing in Berlin Anerkennung und eine Anstellung gefunden, wäre er Preußen sicher erhalten geblieben. Da aber der König, der deutschen Literaten grundsätzlich weniger traute als französischen, ihn weder als Bibliothekar noch als Akademiemitglied haben wollte, verließ Lessing Preußen, und er war danach am Staat der Hohenzollern nicht mehr interessiert.

Als Lessing 1781 starb, war die Schrift des Königs über die Mängel der deutschen Literatur gerade erschienen. Zu einer Zeit, da schon Wieland, Klopstock, Lessing und Goethe gelesen wurden, wirkte Friedrichs Klage absurd. Unter diesem genialsten, gebildetsten und kunstinteressiertesten aller neun preußischen Könige hatten deutsche Dichter, die Hüter des Worts und der Erinnerung, vom Thron aber nichts zu erwarten.

Gottfried August Bürger etwa, der durch seine Ballade „Lenore“ („Er war mit König Friedrichs Macht / Gezogen in die Prager Schlacht / Und hatte nicht geschrieben, / Ob er gesund geblieben“) populär wurde, war mit Friedrichs Verachtung des Deutschen nicht einverstanden und beklagte sich in einem Vierzeiler „Friedrich“ darüber, der König brauche „nur zum Siegen deutschen Heldenmut“.

Schiller hingegen, der den Plan eines Friedrich-Schauspiels erwogen hatte, drängte sich in „Die deutsche Muse“ die Bemerkung auf, daß die deutsche Poesie sich der Gunst der Großen keineswegs so erfreuen konnte, wie etwa die römische zur Zeit des Kaisers Augustus, ja selbst der „Weise auf dem Throne“, Friedrich der Große, habe bei seiner Vorliebe für die französische Literatur der deutschen Poesie keinen Geschmack abgewinnen können. Auf sich selbst angewiesen, hätten die deutschen Dichter dafür um so inniger ihre Empfindung zum Ausdruck bringen können: „Kein Augustisch Alter blühte, / Keines Medicäers Güte / Lächelte der deutschen Kunst; / Sie ward nicht gepflegt vom Ruhme, / Sie entfaltete die Blume / Nicht am Strahl der Fürstengunst. / Von dem größten deutschen Sohne, / Von des großen Friedrichs Throne / Ging sie schutzlos, ungeehrt. / Rühmend darf’s der Deutsche sagen, / Höher darf das Herz ihm schlagen: / Selbst erschuf er sich den Wert.“

Foto: Friedrich der Große und Voltaire in der Bildergalerie von Sanssouci, Lichtdruck nach Gouache, um 1900, von Georg Schoebel: Die deutsche Dichtung hielt der Preußenkönig für größtenteils barbarisch

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