© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/12 20. Januar 2012

„Die Verräter besiegen“
Syrien: Arabische Beobachter sehen das Land unaufhaltsam in einen Bürgerkrieg gleiten / Trotz internationaler Kritik setzt Assad seinen rigiden Kurs fort
Marc Zöllner

Als Anwar Malek sein Flugzeug in der katarischen Hauptstadt Doha verließ, trug er noch immer die orangene Warnweste der Beobachtermission der Arabischen Liga. Fluchtartig habe er das Land verlassen müssen, berichtete der algerische Schriftsteller später dem Sunday Telegraph, er sei mit dem Tod bedroht und mit Nacktfotos erpreßt worden. Sein Auftrag, zusammen mit 165 anderen Abgesandten arabischer Staaten einen menschenrechtskonformen Umgang des syrischen Militärs mit Aufständischen und Demonstranten zu überwachen, schien ohnehin auf wacklige Beine gestellt. Doch was die Emissäre in der Stadt Homs vorfanden, überraschte selbst Hartgesottene.

„Eigentlich sollten wir die Friedensbemühungen überwachen“, so Malek. „Hingegen mußten wir zusehen, wie Menschen von Polizei, Militär und Schabiha-Milizen getötet, zusammengeschlagen und verhaftet worden sind.“ Mit Genickschüssen hingerichtete Deserteure habe er vorgefunden, ebenso erschossene oder dem Hunger überlassene Kinder. Seinen Vorgesetzten hierüber berichten durfte er freilich nicht. „Unsere Mobiltelefone wurden blockiert“, erzählte der Algerier nach seiner Ankunft in Doha den Journalisten. „Wir durften weder E-Mails noch soziale Netzwerke wie Facebook nutzen.“

Daß Syrien unaufhaltsam in einen Bürgerkrieg gleitet, dessen ist sich Malek nun sicher. Die Stadt Homs, eines der Zentren der Aufstände, gilt seit Mai letzten Jahres als belagert, von den landesweit geschätzten 7.000 Toten wurden allein in der Millionenmetropole nahe der libanesischen Grenze weit über 1.800 Verluste verzeichnet. Unzählige Freiwillige brachen von hier aus in den Süden der Türkei auf, um sich dem bewaffneten Widerstand, der „Freien Syrischen Armee“ (FSA, JF 46/11), anzuschließen, darunter mit Mustafa Ahmed al-Scheich einer der höchstrangigen Generäle des syrischen Militärapparates. In der Nacht zum Montag wechselte nun auch der Parlamentsabgeordnete für Homs, Imad Ghalioun, zusammen mit seinem Kollegen Nawaf al-Bashir die Fronten.

Seit dem Beginn der Unruhen in Syrien im März 2011 sollen bereits über 40.000 Soldaten zur FSA desertiert sein. Um den Aufstand gegen das Regime von Baschar al-Assad künftig besser koordinieren zu können, würde in den nächsten Tagen ein Militärrat unter Führung Ahmed al-Sheichs gegründet, so ein Sprecher der Rebellen. Erste „Erfolge“ sind indes schon zu verzeichnen: So konnten Partisanen im Norden des Landes einen für die syrischen Streitkräfte bestimmten Tanklastzug in die Luft sprengen. Die „Brigade der Märtyrer von Tell Kalakh“ wiederum, eine im Norden Libanons stationierte Einheit der FSA, habe bereits mehrere Panzer zerstören können.

Doch während im Norden und Westen bereits um die Zukunft Syriens gerungen wird, scheut al-Assad sich nicht, weiterhin die Weltöffentlichkeit zu brüskieren. So stößt sein halbherziger Vorschlag, jedem Aufständischen Amnestie zu gewähren, der bis Ende Januar die Waffen abgeben und sich der Armee stellen würde, nicht grundlos auf taube Ohren. Dasselbe Versprechen gab er im Laufe des letzten Jahres bereits dreimal ab. Seitdem warten weit über 10.000 Oppositionelle vergeblich auf ihre Freilassung aus den überfüllten Gefängnissen zwischen Damaskus und Aleppo.

Die Demütigung der Beobachtermission vor den Augen der Welt bricht überdies Gräben selbst zu einstmals noch dem Assad-Regime neutral gegenüberstehenden Ländern der Arabischen Liga. Nachdem sich mit dem früheren Kooperationspartner Türkei einer der letzten regionalen Verbündeten von Damaskus lossagte, fordert das Golfemirat Katar nun offen den Waffengang. Doha besitzt freilich schon Erfahrung mit Kampfeinsätzen, so nahm das Emirat als erstes arabisches Land mit eigenen Kampfflugzeugen an Luftangriffen gegen den damaligen libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi teil.

Doch obwohl über diese Option erst Ende der Woche in einer Sitzung der Arabischen Liga beraten werden soll, distanzierte sich mit Tunesien der erste Verbündete Katars bereits wenige Stunden später vom Mittel der militärischen Intervention. „Eine solche Intervention“, so der tunesische Präsident Moncef Marzouki, „könne die ganze Region ergreifen und explodieren lassen.“ Unstimmigkeiten, die wiederum al-Assad zugute kommen, welcher unlängst vor seinen Anhängern in Damaskus verkündete, man werde „demnächst ohne Zweifel über die Verräter siegen.“

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