© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Bissige Stuten und ihre Kieze
Mit Selbstironie und bitterer Polemik: Urbane Super-Mütter im Visier von zwei Journalistinnen
Ellen Kositza

Für eine Frau ist Mutterschaft heute nur eine Option unter vielen. Das mag befreiend sein, aber es kompliziert die Dinge – vor allem für die Frauen selbst. Nichts ist, wie es halt ist; die Nachdenklichen unter ihnen, also die mit den „bewußt getroffenen Entscheidungen“, sehen sich unter gewaltigem Rechtfertigungsdruck. Warum kinderlos? Warum nur ein Kind? Warum so viele? Warum Großstadt, warum Land? Warum konventionell, warum alternativ? Warum zu Hause bleiben, warum Teilzeit, warum Vollzeit? Den beliebten Spruch von den zahmen Vögeln, die von der Freiheit singen und den wilden, die fliegen, wäre leicht in eine anthropomorphe Hippologie zu überführen: Der Hengst jagt unbekümmert von dannen; der Wallach, jener olle Genderbender, wird die Hand nicht beißen, die ihn füttert; hingegen die wildgewordenen Stuten – die beißen um sich, mit Vorliebe ihre Geschlechtsgenossinnen. Weibliches Profil schärft sich gern und gut durch Stutenbissigkeit, ein Phänomen, das durch Mutterschaft keinesfalls abgemildert wird.

Zwei Frauen haben zwei Bücher geschrieben, die das aufs schönste vorexerzieren. Anja Maier ist Mitte Vierzig, taz-Journalistin, vor Jahren mit Mann und Kindern aus Berlin ins dörfliche Umland gezogen und schlägt die Hände überm Kopf zusammen, was der kapitalistische, „heteronormative“ Ungeist der nichtsnutzigen „Edel-Mütter“ mit ihren „Bestimmerkindern“ aus dem einst so schön räudigen Kiez Prenzlauer Berg gemacht hat – das gleiche gilt mittlerweile auch in Kreuzberg. Rike Drust ist Mitte Dreißig, Werbetexterin und selbst späte „Jetzt-wird’s-aber-Zeit“-Mutter (Maier). Sie liebt das Stadtleben und gibt höchst persönliche Ratschläge, wie man dem Druck entkommt, den a) Edel-Mütter, b) Kiezfrauen, c) Bestimmerkinder auf die hin und her gerissene Mutter ausüben.

Beiden Müttern ist gemein, daß sie professionell und ziemlich unterhaltsam schreiben sowie daß sie, strickten sie (was sie definitiv nicht tun!), linke Maschen präferierten. Ein Dasein als Vollzeitmama, und sei es nur für ein paar Jahre, steht und stand für beide nicht zur Debatte. Für Maier wäre es ein emanzipatorisches No-go, Drust erklärt es mit mangelnder Geduld. Drust hat im Grunde das Buch geschrieben, das Charlotte Roche als ihr drittes Schreibwerk ins Auge gefaßt hat: Muttergefühle sind etwas verdammt und sch… noch mal (so die Tonlage ihres Berichts) Ambivalentes. Sehr ehrlich – und kokett; Drust betont wiederholt, wie cool ihr alkoholgetränktes Leben voller Piercings und Parties mal war –, dabei reich an, ja, Mutterwitz, erzählt die Hamburgerin, wie sie mit den ungewohnten Umständen und Erwartungen als Schwangere, Gebärende, ungern Stillende, als Spiel- und Erziehungsgefährtin ihres kleinen Sohnes konfrontiert wurde und wie sie mit all diesen Anforderungen umging.

Es „nervt“ sie, wie „extrem emotional und moralisch aufgeladen“ all diese mutterschaftlichen Sachlagen heute sind. Drum rät sie nicht, was „man“ tun sollte, wenn der Alltag mit dem Kind langweilt, wenn kinderlose Freunde oder erfahrene Mehrfachmütter mit Unverständnis auf Sorgen und Freuden reagieren, wenn sich gegen alle Vernunft ein weiterer Kinderwunsch einstellt („ein zweites Kind käme mir vor wie ein Eindringling, der mir die Zeit mit meinem Sohn klaut“), sondern sie schreibt ihren Lesern – meist selbstironisch gebrochen – auf, wie sie selbst mit solchen Fährnissen verfuhr.

In keck-verschwörerischem Freundinton wird hier Lust und Frust von der Leber geschrieben. Das ist gelegentlich hübsch unkonventionell und wirklich lustig, artet aber häufig in einen infantilen Niedlichkeitsmodus aus. Daß dauernd vor Rührung geheult wird, jugendfrisch „vor Verzückung in die Hände geklatscht“ oder „spackig herumgetanzt“ wird und selbst der Mann wild betobt und „gehauen“ wird – es soll wohl verdeutlichen, daß Mutti beim Kinderkriegen ihr inneres, wildes Kind behalten hat. Erwachsen klingt es nicht, mehr nach altem Mädchen. Immerhin: Drust fordert zu großmöglicher Toleranz gegenüber „Anderserziehenden“ auf.

Das ist der exakt entgegengesetzte Tenor zu Anja Maiers boshafter Polemik. Möchte man in einem der großstädtischen Babyboom-Viertel wie dem Prenzlauer Berg leben, nach all dem, was man nicht nur bei Maier, sondern bereits an ungezählten anderen Stellen gelesen hat über ökologisch korrekte Eigentümer 700 Euro teurer Kinderwägen im (meist schwarzen) Edellook, über eine Designerboutiquenschwemme für Säuglingsmode, über den Förderwahn (Chinesisch im Kindergarten) dort? Vielleicht nicht.

Das Grauen, von dem die Autorin in ihrer länglichen und redundanten Lokalreportage ergriffen ist, vermittelt sich dennoch nicht. Es dürfte deutlich Schlimmeres geben als a) schicke Mütter (Maier lästert ebenso über die unschicke Jack-Wolfskin-Fraktion), die sich b) einen Großteil ihrer Zeit dem Kinde widmen („steuerfinanzierte Elternschaft“) und c) als Gipfel „unemanzipierter Vorgänge“ die Feiertage bei den Eltern fernab von Berlin verbringen. Für die Autorin ist dies alles ein Verrat jenes Ortes, wo früher noch richtig gefeiert wurde, wo Hundehaufen sich noch türmen durften und wo die vielen Schwulen noch ungestört von „Eutern“ (gemeint: Stillbrüsten) und lästigen „Gruppen von Seekühen“ (gemeint: zusammengluckende Mütter) ihren Kaffee trinken konnten. Frau Maier schwelgt in Nostalgie, die ihr auf jeder Buchseite zum Ressentiment gegen die zugezogene Klientel gerinnt.

Klar, sie hat selbst auch im Geburtshaus entbunden, kaufte auch im Bioladen. Aber damals galt das alles noch als Wagnis und alternative Kultur! Heute findet sie im „Kiez“ nur verachtenswerten Mainstream, die Mütter sind wahlweise „altersmäßig schon sehr angenagt“ oder sehen trotz Schwangerschaft viel zu „geil“ aus, haben entweder hedonistischerweise nur ein Kind oder gleich zu viele („eins am Wagen, eins im Wagen, eins am Bauch – schön is dit nich“, wird der ganz eigene „Stammtisch“ in Gestalt einer berlinernden Gastronomin bemüht). Selbst daß die neuen Mütter vom Prenzlauer Berg mit freundlichem Interesse auf ein Kind mit Down-Syndrom zugehen, wird hier als Hinterfotzigkeit bewertet. Frau Maier hält es für eine durchschaubare Inszenierung.

Sie und ihre Generation der Ureinwohner waren damals viel erschöpfter, viel lockerer zugleich: authentisch eben. Um das zu demonstrieren, nimmt die frustrierte Autorin einen Zug aus der „Tüte“. Wenn’s die Entspannung fördert, kann es in diesem Fall nicht schaden.

Anja Maier: Lassen sie mich durch, ich bin Mutter. Von Edel-Eltern und ihren Bestimmerkindern. Verlag Bastei-Lübbe, Köln 2011, broschiert, 253 Seiten, 8,99 Euro

Rike Drust: Muttergefühle. Gesamtausgabe. C. Bertelsmann, München 2011, gebunden, 223 Seiten, 14,99 Euro