© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Krankhafte Kriegsspiele
Roberto Bolaño und sein „Drittes Reich“
Nils Wegner

Ganz tragisch ist es, wenn ein Schriftsteller erst nach dem Tode zu Ruhm gelangt. Der Chilene Roberto Bolaño schaffte immerhin nach langer, fruchtloser Lyrikertätigkeit mit 45 Jahren den Durchbruch als Schriftsteller, um dann fünf Jahre später zu sterben.

International bekannt machten ihn erst die überwiegend posthumen Übersetzungen seiner Werke ins Deutsche und Englische. Nach dem international sehr erfolgreichen „2666“ ist dieses Jahr sein 1989 abgeschlossener Debütroman „Das Dritte Reich“ erschienen, übersetzt vom Bolaño-Kenner Christian Hansen.

Eingebunden in den typischen Sechseck-Plan eines strategischen Brettspiels kommt das Buch mysteriös daher. Und trotz des Argwohn erweckenden Titels lohnt es sich, einen Blick in den Roman zu werfen; mit knapp 320 Seiten ist er keinesfalls übermäßig lang geraten.

Udo Berger, der Protagonist, ist professioneller Kriegsspieler. Im Spanienurlaub nimmt seine Besessenheit von der Weltkriegssimulation „Das Dritte Reich“ krankhafte Züge an – wenn seine Freundin sich zum Strand begibt, zieht Udo in die Schlacht und führt darüber Tagebuch. Durch Zufall trifft er den „Verbrannten“, Bewohner einer Tretbootbehausung, dessen Lebensgeschichte sich nur zäh und bruchteilhaft aufklärt. In ihm erkennt Berger einen würdigen Gegner, der im Spiel die Rolle der Alliierten übernehmen soll.

Nach einem mysteriösen Todesfall und der allmählichen Verwaisung des Ferienortes rollen sie auf dem Spielbrett den Zweiten Weltkrieg neu auf – ein geradezu faustisches Spiel mit ungewissem Ausgang. Beide werden danach nicht dieselben sein. Udo Berger ist ein Sympath. Wie nah er in seinem Spieleifer am Abgrund wandelt, wird ihm selbst nie bewußt.

Nur der Leser vermag in seiner sprachlichen Holprigkeit, in seinen ungewollt pathetischen Meditationen über ein „erinnerungsloses Europa ohne Heldentum und epische Größe“ Bergers unbewußte Zerrissenheit zu erkennen. Im hingebungsvollen Nachspielen des Vergangenen findet er Klarheit – seine letztliche Rückkehr nach Deutschland ist in vielerlei Hinsicht eine Rückkehr ins Nichts. „Was ist das, Deutscher sein“, wird er in Spanien gefragt. Er antwortet: „Etwas Schwieriges. Etwas, das wir allmählich vergessen haben.“

Roberto Bolaño: Das Dritte Reich. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2011, 320 Seiten, broschiert, 21,90 Euro