© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Leichtes Spiel gegen die Steinzeit-Diktatoren
Die tunesische Bloggerin Lina Ben Mhenni über die Rolle des Digitalen während der arabischen Revolutionen des vergangenen Jahres
Daniel Napiorkowski

Die blutigen Ausschreitungen in London und anderen britischen Städten im Sommer 2011 haben gezeigt: Es bedarf keiner Rädelsführer, keiner Agitatoren und keiner Trommler, um die Masse aufzuhetzen. Die Unruhestifter waren anonym, breit verstreut, gehörten keiner gemeinsamen Partei oder Organisation an – und waren dennoch gut organisiert. Das heutige Zeitalter mit seinen vielfältigen Spielarten der Vernetzung – neben sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter, verschiedenen Internetforen und Weblogs etwa auch dem in den Londoner Krawallnächten genutzten BlackBerry-Messenger – bietet Organisationsmöglichkeiten, von denen sektiererische Aufrührer genauso wie Freiheitskämpfer vergangener Tage nur hätten träumen können.

Auch im sogenannten „arabischen Frühling“, den umstürzlerischen Ereignissen in Nordafrika und Teilen des Nahen Ostens, kam dem Umstand der gegenseitigen Vernetzung innerhalb der oppositionellen Bewegung eine große Rolle zu. Selbst wenn diese Rolle oftmals überbewertet wird – auch Lina Ben Mhenni, die 27jährige Internetaktivistin und Verfasserin der vorliegenden Schrift, greift zu hoch, wenn sie schreibt, erst die sozialen Netzwerke hätten das tunesische Regime Ben Alis zu Fall gebracht –, kann kaum diskutiert werden, daß die Ereignisse ohne diese Möglichkeit derart schnell ins Rollen geraten wären.

Ben Mhenni berichtete als regimekritische und oppositionelle Bloggerin über den Umsturz in Tunesien. Sie nahm an Demonstrationen teil, unterstützte Aktionen, stellte Bilder ins Netz und verbreitete Aufrufe. Auf diese feinen Florettstiche der „Internauten“, so die Selbstbezeichnung der Internetaktivisten, reagierte das Regime mit der groben Keule von Gewalt und Zensur: Netzinhalte wurden verboten, Demonstranten niedergeknüppelt.

Auch wenn das Räuber-und-Gendarmen-Spiel recht interessant zu lesen ist, hat sich Ben Mhenni mitunter zu sehr von Che-Guevarascher Revolutionsromantik einlullen lassen: Die Selbstinszenierung als „toughe“, emanzipierte Weltverbesserin – das Foto auf dem Buchrücken zeigt sie mit den überkommenen antiautoritären Attributen wie Nasen- und Augenpiercing – wirkt ebenso antiquiert wie die Bezeichnung von Polizisten als „Bullen“ schlicht pubertär anmutet. Der gleichsam verzweifelte wie brutale Überlebenskampf der Steinzeit-Diktatur Ben Alis wäre in seiner Absurdität ohne diese betont „fortschrittlich“ assoziierten Ingredienzien klarer zum Tragen gekommen.

„Vernetzt Euch!“ ist in der Reihe „Ullstein Streitschrift“ erschienen – jener Reihe, in der erst kürzlich Stéphane Hessels zum Weltbestseller avanciertes Büchlein „Empört Euch!“ veröffentlicht wurde. Beide Werke eint nicht nur der knappe Umfang, sondern auch der Umstand, daß „Streitschrift“ weder hier noch da die passende Bezeichnung ist: Es werden keine Kontroversen ausgetragen, sondern den Feuilletonisten wird letztlich nicht mehr als Honig ums Maul geschmiert.

Lina Ben Mhenni: Vernetzt Euch! Ullstein Verlag, Berlin 2011, broschiert, 48 Seiten, 3,99 Euro