© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Stollen im Bergwerk verspäteter Romantik
Ausstellungen: Max Beckmann in Basel und Leipzig
Sebastian Hennig

Von dem Dichter Gottfried Benn stammt die Bemerkung, daß jeweils nur wenige Gedichte eines Meisters die mögliche Vollendung erreichen. Für Benns malenden Generationsgenossen Max Beckmann (1884–1950) gilt das gleichfalls. Der große Künstler ist immer ein Antaios. Wie die meisten bedeutenden Maler des 20. Jahrhunderts war sich der in Leipzig geborene Beckmann in den besten Werken bald selbst unerreichbar geworden. Seine Skulpturen beispielsweise sind bestenfalls verzeihlich.

Im Museum der bildenden Künste Leipzig werden die Bildnisse des Malers gezeigt. Darunter befinden sich klassische Darstellungen, so das ungeheuer eindringliche und dabei doch farbig sehr zurückhaltende „Bildnis Augusta Gräfin vom Hagen“ (1908). Ihre feine und im wahren Sinne edle Persönlichkeit ist mit großer Herzlichkeit wiedergegeben. Wäre Beckmann, wie sein Freund Albert Weisgerber, im Ersten Krieg gefallen, so hätte das Frühwerk hinreichend für ihn gezeugt.

Viele andere Bildnisse sind dicht eingewoben in allegorische Bildkompositionen. Zwischen diesen Gattungen steht das „Familienbild Heinrich George“, welches als das stärkste Werk dieser Ausstellung gelten muß. Es entstand 1935 zeitgleich zu dem Triptychon „Ankunft“ (1932/35), das heute im Museum of Modern Art New York beheimatet ist und in einer eben zu Ende gegangenen Beckmann-Ausstellung im Städelschen Kunstinstitut in Frankfurt am Main gezeigt wurde.

Es ist bemerkenswert, daß Beckmann die Krise seiner qualitativ fruchtbarsten Jahre nicht bestanden hat. Dieses Schicksal teilt er mit Thomas Mann. Während der Resonanzraum der abendländischen Kultur verwüstet wurde, waren die Herren Künstler damit beschäftigt, ihren Rang als Malerfürst und Mahner nach den Kategorien der Renaissance und Aufklärung zu klassifizieren. Thomas Mann ist ein d’Annunzio der Philantropie geworden und Beckmann der Zeichenlehrer der Millionärstöchter. Die Brutalität der Verhältnisse hat ihre Berechnungen eiskalt und gnadenlos gerichtet.

Was heute noch unangefochten gefeiert wird, steht seit Jahrzehnten bereits auf tönernen Füßen. Wichtiger als auf den gestrandeten Walfisch einzuschlagen ist es heute, die guten und haltbaren Teile seines Knochenbaus vor der Tabula rasa der kommenden ideologischen Strandräuber in Sicherheit zu bringen. Vielleicht taugen diese Rippen als Verstrebungen einer erträglichen Zwischenzeit.

Die Beckmann-Ausstellungen enthalten hervorragende Bilder, die bleiben werden. Gleichwohl ist das Ganze weniger der Anfang einer neuen Kunstepoche, als vielmehr ein blinder Stollen im verzweigten Bergwerk einer verspäteten Romantik. Das Kunstmuseum Basel rundet die Beckmann-Festspiele dieses Winters ab mit einer ebenfalls sehenswerten Ausstellung von siebzig seiner Landschaftsdarstellungen.

Zu allen Beckmann-Ausstellungen hat der Hatje Cantz Verlag, Ostfildern, umfangreiche Kataloge ediert. Hervorzuheben ist der Band zur Leipziger Ausstellung. Sein Anhang enthält auf über 150 Seiten ein „Who is Who“ der Dargestellten. Es reicht von Wolfgang Frommel, der in der Amsterdamer Zeit das „Argonauten“-Triptychon inspirierte, bis zur schwedischen Schauspielerin Kristina Söderbaum, deren Darstellung in Veit Harlans Meisterwerk „Die goldene Stadt“ (1942) Beckmann mutmaßlich zu dem Bild „Messingstadt“ anregte.

Die Ausstellung „Max Beckmann. Von Angesicht zu Angesicht“ ist noch bis zum 22. Januar im Museum der bildenden Künste Leipzig, Katharinenstraße 10, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / 2 16 99-0

www.mdbk.de

Ebenfalls noch bis zum 22. Januar wird die Schau „Max Beckmann – Die Landschaften“ im Kunstmuseum Basel, St. Alban-Graben 16, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr gezeigt. Telefon 00 41 /(0)61 2 06 62 62

www.kunstmuseumbasel.ch