© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Zeitschriftenkritik: Zeitungszeugen
Quellenstudium an Originalen
Christian Schwiesselmann

Als der britische Verleger Peter McGee 2009 die zeithistorische Sammler-Edition Zeitungszeugen auf den deutschen Markt brachte, rief das ziemlich schnell die üblichen Bedenkenträger auf den Plan: der Zentralrat der Juden beklagte, daß die Faksimiles der Originalzeitungen als „Kopiervorlagen für Nachwuchsnazis“ (Stephan Kramer) herhalten könnten; die Bayerische Staatsregierung pochte auf ihre Urheberrechtsansprüche beim Nachdruck nationalsozialistischer Blätter (JF 7/09) – und mußte vor Gericht klein beigeben.

Davon unbeeindruckt haben sich die Zeitungszeugen nun am Kiosk zurückgemeldet. Zum Lockpreis von einem Euro können sich die Freunde des unverbauten Quellenstudiums dreier Originalzeitungen erfreuen, die am Tage der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers erschienen. Der Angriff, 1927 als NSDAP-Blatt für den Gau Berlin gegründet, feierte „Reichskanzler Hitler!“ euphorisch an jenem 30. Januar 1933, während der Herausgeber Joseph Goebbels unmißverständlich forderte: „Reinen Tisch machen!“ In der konservativen Deutschen Allgemeinen Zeitung (DAZ) – einer der großen Qualitätszeitungen in der Weimarer Republik – formulierte der Chefredakteur Fritz Klein vorsichtig tastend die Zweifel des Bürgertums: „Der nationalsozialistische Führer wird nun zu zeigen haben, ob er das Zeug zum Staatsmann hat.“ Dagegen rief das KPD-Organ Der Kämpfer zum „Massenstreik“ gegen die „Papen-Hitler-Diktatur“ auf und beklagte erste Repressionen wie die Schließung von Druckereien.

Die Zeitungsnachdrucke sind in einen achtseitigen Mantel eingebettet, der vor allem erklären und kontextualisieren soll. Das geht in der Bundesrepublik freilich nicht ohne einen demokratiepädagogischen Anspruch: „Wir sind uns sicher“, betonen die Herausgeber im Editorial, je „mehr Menschen Zugang zu diesen Dokumenten haben und sich mit ihnen kritisch auseinandersetzen, desto besser für eine gesunde und lebendige Demokratie.“ Aus der massiven Kritik will die Redaktion unter Leitung von Christina Kiesewetter, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Journalistik der Technischen Universität Dortmund, gelernt haben: Rubriken wurden geändert und neu hinzugefügt – das Konzept, „Geschichte hautnah zu begreifen“, blieb annähernd gleich.

Auch bei der wissenschaftlichen Betreuung hat sich nicht allzuviel geändert. Die emeritierten Tugendwächter der bundesrepublikanischen NS-Forschung Wolfgang Benz und Hans Mommsen sind weiterhin an Bord. Freilich geht Benz in seiner altbackenen Einordnung der „Legende der Machtergreifung“ kaum über Schulbuchwissen hinaus. Intime Kenntnis beweisen hingegen die Dortmunder Zeitungsforscher Horst Pöttker und Gabriele Toepser-Ziegert, die auch konservative Presseorgane wie die DAZ erstaunlich unvoreingenommen einordnen. Über kleine Fehler muß der kundige Leser einfach hinweglesen.

Die Lektüre der wöchentlich erscheinenden Zeitungszeugen macht offenbar mündig: „Die Zeitschrift zu kaufen, war nicht immer einfach, weil gelegentlich auf die Gesinnung der Leserschaft geschlossen wurde“, bekennt ein Bonner Leser. Er habe die Zeitungszeugen nur aus Protest gegen die „Oligarchie des Gutmenschentums“ abonniert, die bestimmen möchte, womit man sich überhaupt beschäftige. Bravo!

Kontakt: Zeitungszeugen, Postfach 70 17 43, 22041 Hamburg. Der Einzelpreis beträgt 3,30 Euro. http://zeitungszeugen.de