© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Diplomatischer Schlagabtausch
Kriminalität: Die Ursachenforschung für den Anstieg der Autodiebstähle in der Grenzregion ruft den polnischen Botschafter auf den Plan
Paul Leonhard

Ein einziges Interview hat der polnische Diplomat Marek Prawda benötigt, um in Deutschland einen Aufschrei der Empörung auszulösen. „Polens Botschafter: Autoklau in Deutschland zu einfach“, titelte der Boulevard. Tatsächlich hatte Prawda in einem Interview mit der in Frankfurt an der Oder erscheinenden Märkischen Oderzeitung, konfrontiert mit der steigenden Zahl gestohlener Fahrzeuge im Grenzgebiet, mit einem verbrämten Vorwurf geantwortet: „Vielleicht ist es ja noch zu einfach, in Deutschland Autos zu stehlen.“

Daß er das Problem zudem zu einem der deutschen Polizei erklärte, brachte Prawda seitens der Deutschen Polizeigewerkschaft scharfe Kritik ein. Die Äußerungen seien „ahnungsloser, arroganter Populismus eines Diplomaten“, kritisierte der Berliner Landeschef Bodo Pfalzgraf im Boulevardblatt B. Z. Noch deutlicher wurde der innenpolitische Sprecher der sächsischen CDU-Landtagsfraktion, Volker Bandmann: Wenn Warschau die Verdrängung der Kriminalität von Polen nach Deutschland akzeptiere und „die Straftat Autodiebstahl seiner Landsleute toleriert oder bagatellisiert, ist dies nicht hinzunehmen.“ Der Autodiebstahl sei beileibe keine ausschließliche Aufgabe der deutschen Seite, so Bandmann, der selbst unmittelbar an der Grenze wohnt: „Wenn es sich um polnische Kriminelle handelt, hat unser Nachbarland eine Mitverantwortung. Dies betrifft sowohl die Strafverfolgung als auch die Bekämpfung der Hehlerei oder die Gewährung von Unterbringungsmöglichkeiten für das Diebesgut sowie alle präventiven polizeilichen Maßnahmen vor Ort.“

Bereits im Sommer 2010 hatte Bandmann angesichts der hohen Zahl von Autodiebstählen neue und bessere Grenzkontrollen gefordert. Sachsens Innenministerium reagierte mit dem Einsatz einer zusätzlichen Hundertschaft der Bereitschaftspolizei und einer engeren deutsch-polnischen Zusammenarbeit. So wurde eine mit Polizisten aus beiden Ländern besetzte Fahndungsgruppe Neiße ins Leben gerufen. Zudem wurde arbeitsteilig gearbeitet. Die polnische Polizei erhöhte die Kontrolldichte im Grenzgebiet, die deutsche Polizei setzte auf die Diebstahlsvorbeugung.

„Der polnische Botschafter hat recht, wenn er bei der Bekämpfung des Autodiebstahls auch auf Prävention setzt“, heißt es auf der Internetseite der Gewerkschaft der Polizei Berlin. Zwar wehrt man sich dort gegen den Versuch, Deutschland allein den „schwarzen Peter“ zuzuschieben, leistet aber auch den Offenbarungseid: Die Polizei sei aufgrund der Personalsituation nicht mehr in der Lage, den notwendigen Kontrolldruck in der Fläche sicherzustellen: „Berlin, Brandenburg und die Polizei haben personelle Probleme.“ Deswegen sei Prävention wichtig. Helfen könnten zusätzliche Lenkradsperren, Alarmanlagen oder GPS-Systeme, sagte der Landesbezirksvorsitzende der GdP, Michael Purper. Die Ausgangslage, die die Gewerkschaft beschreibt, ist für deutsche Autobesitzer höchst bedenklich: Berlin sei aufgrund seiner geographischen Nähe zu den osteuropäischen Staaten ein Angriffsziel für reisende Tätergruppen. Die organisierten Banden würden höchst professionell und mit hohem Sachverstand bei der Fahrzeugtechnik arbeiten. Teilweise würden Fahrzeuge schon in Brandenburg zerlegt. Die einzige Chance, so Purper, dieser Kriminellen Herr zu werden, sei eine gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen und keine Schuldzuweisungen.

Unterdessen hat der Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck (SPD), ein Maßnahmenbündel gegen die ausufernde Grenzkriminalität angekündigt. Demnach sollen unter anderem in den nächsten drei Monaten drei Hundertschaften der Bereitschaftspolizei mit je 124 Mitgliedern in die Grenzregion verlegt werden, berichtet die Welt. Zudem soll der Zoll mit weiteren Zugriffsbefugnissen ausgestattet werden und die Zusammenarbeit zwischen deutschen und polnischen Polizeibehörden verbessert werden.

Seit dem Wegfall der Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien im Jahr 2007 ist vor allem in den Grenzregionen in Brandenburg und Sachsen die Kriminalität stark angestiegen. Im vergangenen Jahr hatte das brandenburgische Innenministerium mitgeteilt, daß die Zahl der Autodiebstähle in den Grenzgemeinden seit 2007 um 250 Prozent gestiegen sei.