© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Verbeulter Hitler im Reichstag
Marcus Schmidt

In den Kunstwerken, die den Berliner Reichstag schmücken, zeigt sich exemplarisch das verspannte Verhältnis der Deutschen zu ihrer Identität und Geschichte. Das wurde gleich nach der Einweihung des vom britischen Architekten Norman Foster umgebauten Gebäudes deutlich. Dieser ließ die zahlreichen Graffiti, mit denen sich sowjetische Soldaten nach der Erstürmung des Gebäudes im Jahr 1945 an den Wänden des Reichstages verewigt hatten, aus Gründen des Denkmalschutzes konservieren und damit quasi in den Rang eines Kunstwerkes erheben. Nach der Wiedereröffnung des Baus im Jahr 1999 sorgten die Inschriften, die teilweise obszön und deutschenfeindlich waren, für reichlich Diskussionsstoff.

Doch diese Aufregung war nichts gegen den Sturm der losbrach, als im Jahr 2000 der Künstler Hans Haacke in einem Lichthof des Reichstages einen Trog mit dem Schriftzug „Der Bevölkerung“ aufstellte. Jeder Abgeordnete sollte nach dem Willen Haackes etwas Erde aus seinem Wahlkreis mitbringen und diese in den Trog schütten. Die Installation sorgte in allen politischen Lagern für heftige Diskussionen: Während Linke in der Installation einen Rückgriff auf die Blut-und-Boden-Ideologie sahen, stießen sich Konservative an dem Schriftzug „Der Bevölkerung“, der gezielt die 1916 über dem Hauptportal des Reichstages angebrachte Widmung „Dem Deutschen Volke“ konterkarieren sollte.

Nachdem nun mittlerweile im Wortsinn Gras über diesen Streit gewachsen ist, steht erneut ein Kunstwerk im Reichstag in der Kritik. Im Kellergeschoß des Parlamentsgebäudes erinnern 4.781 angerostete Metallboxen, die der französische Künstler Christian Boltanski aufgestellt hat, an alle zwischen 1919 und 1999 „frei und demokratisch“ gewählten deutschen Abgeordneten. An alle. Also auch an Adolf Hitler, der im März 1933 in den Reichstag gewählt worden war.

An der Box mit Hitlers Namen hat sich nun ein Streit um das Kunstwerk entwickelt, das übrigens bereits seit dem Umzug der Parlamentes von Bonn nach Berlin im Keller des Reichstages steht.Denn um den Jahreswechsel wurde Hitlers Metallbox von einem Unbekannten mutwillig beschädigt. Boltanski hat den Schaden zwar bereits provisorisch beheben und die Schachtel ausbeulen lassen, doch sind die Spuren der Attacke noch deutlich sichtbar. Sollen diese nun auf Kosten des Bundestages beseitigt werden? Während die Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestags, Monika Grütters (CDU), dies „aus Respekt vor dem Kunstwerk“ für notwendig hält, hat sich Bundestagspräsident Norbert Lammert zu diesem Thema bislang noch nicht geäußert. Andere fordern, die Box gleich ganz zu entfernen. Dabei entzündet sich die Kritik nicht alleine am Namen Hitler, sondern vor allem an der März-Wahl von 1933, nach der Hitler mit 286 weiteren NSDAP-Abgeordneten in den Reichstag eingezogen war. Diese Wahl wird von vielen Historikern nicht als frei angesehen.

Was auch immer aus der verbeulten Hitler-Box wird. Mit seinen Kunstwerken hat der Bundestag einfach kein Glück.