© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  03/12 13. Januar 2012

Dolchstoß in Jamaika
Saarland: Nach dem Ende der ersten schwarz-gelb-grünen Koalition lecken FDP und Grüne die Wunden, während die CDU mit der SPD verhandelt
Michael Martin

Im Saarland ist die Zeit der Dolchstoßlegenden ausgebrochen. Wenige Tage nach dem Bruch der deutschlandweit ersten und einzigen Jamaika-Koalition aus CDU, FDP und Grünen durch die Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ist die Stimmung im kleinsten Flächenland der Republik vergiftet. Von einem „unglaublichen Vorgang“ sprach Grünen-Chef Hubert Ulrich, der das Ende seiner Regierungsbeteiligung aus den Medien erfahren mußte. Noch schlimmer erwischte es den jungen FDP-Vorsitzenden Oliver Luksic. Der 32jährige stand gerade seiner Frau bei der Geburt des ersten Kindes bei, als ihn der behandelnde Arzt über die Radio-Meldung informierte.

Kramp-Karrenbauer sprach denn auch von „menschlichen Härten“, die diese Entscheidung mit sich gebracht habe. In der Tat deutet vieles auf ein abgekartetes Spiel hin. Daß SPD-Chef Heiko Maas nur Stunden nach der Pressekonferenz der Ministerpräsidentin allzu bereitwillig in Koalitionsverhandlungen einwilligte, wirft Fragen auf. Während die staunende Öffentlichkeit die wochenlangen Querelen der Landes-FDP beobachtete, hatte die Nachfolgerin des jüngst zum Verfassungsrichter gewählten Peter Müller heimlich, still und leise Gespräche mit den Sozialdemokraten geführt. Und es deutet viel auf eine große Koalition hin.

Im Saarland neigen die Menschen naturgemäß zum Konsens. Allzu großer Streit gilt als verpönt, man kennt sich untereinander. Und es ist in der Verfassung verankert, daß die stärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Jüngste Umfragen sahen die SPD zwar knapp vor der Union, aber über diese wackelige Brücke scheint Maas nicht gehen zu wollen. Zu groß ist die Angst, man könne erneut in die Röhre schauen. 2009, als die CDU die absolute Mehrheit verlor, setzten die Sozialdemokraten auf eine Koalition mit den Grünen und Oskar Lafontaines Linkspartei. Dem Vernehmen nach soll Maas damals schon maßgeschneiderte Anzüge in Auftrag gegeben haben. Doch die Erzfeindschaft zwischen Grünen-Chef Ulrich und Lafontaine brachte die Jamaika-Koalition zustande.

Kramp-Karrenbauer hat mit ihrem Schritt Handlungsfähigkeit bewiesen. Im Land gilt sie derzeit als beliebteste Politikerin. Als sie Ende August zur Ministerpräsidentin gewählt wurde, fehlten ihr im ersten Wahlgang zwei Stimmen. Auch im zweiten Durchgang verweigerte ein Jamaika-Mitglied ihr die Gefolgschaft. Die Gerüchte halten sich hartnäckig, daß es sich dabei um den FDP-Parlamentarier Horst Hinschberger gehandelt haben soll. Der Sportartikelhersteller war der erste Fraktionsvorsitzende in der laufenden Legislaturperiode der Liberalen und mußte seinen Posten nach einer peinlichen Schlammschlacht um Finanzierungsfragen einer parteinahen Stiftung räumen. Sein Nachfolger, der Jungunternehmer Christian Schmitt, wurde in der Folge nach Leibeskräften gemobbt und gedemütigt – er wechselte kurz vor Weihnachten in die CDU-Fraktion. Da Wirtschaftsminister Christoph Hartmann und Landtagsvizepräsident Karl-Josef Jochem ihre gut dotierten Posten nicht räumen wollten, sollte der biedere und wenig auffällige Christoph Kühn die FDP-Fraktion führen. Doch der stolperte noch vor seiner Wahl über eine Dienstwagenaffäre. Wochenlang stümperte die Fraktion vor sich hin, am Ende wollte Hartmann dann doch den Vorsitz übernehmen.

Zu spät für die Ministerpräsidentin, deren Entschluß zum Wechsel wohl schon seit dem Tag ihrer Wahl reifte. Ihr persönliches Risiko ist dabei gering. Die regionalen Medien würdigten sie als resolute Krisen-Managerin, die ein Experiment ihres Vorgängers ohne Rücksicht auf eigenen Machtverlust korrigiert habe. Zudem hatte die Union beim Zustandekommen von „Jamaika“ vor allem den Grünen weitgehende Zugeständnisse machen müssen. In Fragen der Schul- und der Umweltpolitik war die alte Koalition alles, nur nicht bürgerlich. Und die von SPD-Chef Maas angesprochenen Knackpunkte wie die Sozialpolitik dürften zu regeln sein. Maas soll stellvertretender Ministerpräsident werden und ein Super-Ressort erhalten.

Zurück bleiben fassungslose Grüne, die hoch gepokert und viel umgesetzt haben. Die FDP zerlegt sich derweil munter selbst. Ex-Landeschef Hartmann, der am Montag die Fraktionsführung übernahm, giftete am Rande eines Neujahrsempfangs in Richtung austrittswilliger Mitglieder. „Wir werden quantitative Verluste haben, die eine Steigerung der Qualität bedeuten.“