© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Dieser Mann der Pflicht und der Arbeit
Konjunkturen der Aneignung: Die „Friedrich-Legende“ im Wandel der Zeiten
Olaf Kleinschmidt

Das eindrücklichste Bild des großen Königs überliefert – selbstverständlich – Theodor Fontane in seinen „Wanderungen“. Es stammt von Friedrich August Ludwig von der Marwitz, der als junger Mann Augenzeuge wurde, als Friedrich II. ein Jahr vor seinem Tod Berlin passierte: Der Rock alt und bestaubt, die Weste voll Tabak, die schwarzen Hosen abgetragen und rot verschossen. So ritt er mit seinem Schimmel in die Wilhelmstraße ein, die gedrückt voller Menschen stand, „alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen“. Es sei eigentlich nichts geschehen, so zitiert Fontane Marwitz, da nur ein alter Mann von seinem Tagewerk zurückkehrte. „Aber jeder wußte, daß dieses Tagewerk seit 45 Jahren keinen Tag versäumt worden war, und Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen regte sich in jeder einzelnen Brust, sobald sie dieses Mannes der Pflicht und der Arbeit ansichtig wurden.“

Geschichte wiederholt sich nicht. Trotzdem glaubte man, „Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen“ regte sich wieder in jeder einzelnen Brust, als  zwei Jahre nach dem Mauerfall, am 17. August 1991, einem sonnigen Samstagmorgen, die Massen sich an der kleinen Potsdamer Bahnstation Wildpark einfanden, um der Heimholung der 1945 vor dem drohenden Vandalismus der Roten Armee nach Westen evakuierten Särge Friedrichs und seines Vaters, des „Soldatenkönigs“, beizuwohnen.

Über 200 Jahre hinweg schienen die Wünsche und Erwartungen, die sich auf die Gestalt des charismatischen preußischen Herrschers konzentrierten, nichts von ihrer Intensität eingebüßt zu haben. Und dies ungeachtet aller kritischen Relativierungen der „Friedrich-Legende“, die Historiker während der umerziehenden kollektiven „Charakterwäsche“ nach 1945 an dem „autokratischen Feudalherrscher“ und „Angriffskrieger“, am „Mißbrauch“ seiner Biographie in der „nationalistischen Propaganda“, besonders zwischen 1933 und 1945, vorgenommen hatten. Eine lediglich museale Inszenierung, wie von den Regisseuren der Kohl-Regierung wohl beabsichtigt, wurde die verspätete Beisetzung Friedrichs auf der Terrasse von Sanssouci deswegen aber noch lange nicht. Würde sie erst jetzt, zum 300. Geburtstag am 24. Januar, stattfinden – die Attraktion wäre ungebrochen.

Was sich in diesem Phänomen ausdrückt, ist die Sehnsucht, gut regiert zu werden. Die Geschichte der Friedrich-Rezeption ist daher seit 1848 auch stets ein retrospektive Meinungsumfragen ersetzendes Barometer, an dem die Leistungsfähigkeit preußisch-deutscher Regierungskunst abzulesen ist. Zu Bismarcks Zeiten, obwohl der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident der am heftigsten attackierte Staatslenker seiner Epoche war, schlief das Bedürfnis der bürgerlichen Wählerschaft, in der Vergangenheit Orientierung zu suchen, daher streckenweise beinahe ein.

Gewaltigen Auftrieb erhielt es dagegen in der Weimarer Republik, als Friedrichs Preußen auf der Ufa-Leinwand und in einer Springflut literarischer Idealisierungen die gloriose Kontrastfolie zur Tristesse eines sich zerfleischenden Parteienstaates abgab. Mit der NS-Machtergreifung und der Propagierung eines besseren Deutschlands der „nationalen Erhebung“ fielen Friedrichs Aktien darum mit Konsequenz. Erst der Zweite Weltkrieg und die Notwendigkeit, der Volksgemeinschaft am historischen Beispiel des friderizianischen Schlachtenlenkers Siegesgewißheit und unbeugsamen Durchhaltewillen zu vermitteln, führte zu einer erneuten Konjunktur des Friedrich-Mythos.

Mit dem militärischen Zusammenbruch des Dritten Reiches und der 1947 von den Siegermächten verfügten Auflösung Preußens schien sich diese Art von Vergangenheitspolitik erledigt zu haben. Insoweit ist es folgerichtig, wenn Tillmann Bendikowski, ungeachtet der überraschenden Friedrich-Renaissance im schon taumelnden SED-Staat der 1980er und ungeachtet einer extrem selektiven westdeutschen Wiederbelebung Preußens als „Rechts- und Kulturstaat“, die Potsdamer Grablege von 1991 als unaufhebbaren Schlußpunkt in der Geschichte der Aneignung und Funktionalisierung des größten Hohenzollernkönigs begreift (siehe Sammelbesprechung auf Seite 21 dieser Ausgabe). Für Bendikowski soll das die „Befreiung“ von einem Mythos sein, der Deutschland „nicht gutgetan“ habe und der fortan allein touristischer Vermarktung zu überlassen sei. Gegen Friedrich als Nippesfigur ist von dieser Seite also nichts einzuwenden.

Die nur vordergründig auf das Ökonomische zu begrenzende chronische Krise der Europäischen Union machte aus Bendikowskis Prognose jedoch schon beim Andruck Makulatur. Nach dem unter dem EU-Dach forcierten „Herunterdemokratisieren“ (Botho Strauß) Deutschlands auf das Niveau angelsächsischer Wolfsgesellschaften bleibt Preußen als Vorbild des gerechten Staates und „Herzensbasis“ (Hans- Jürgen Syberberg) für eine Restitution des Eigenen, als Gegenentwurf eines auf das Gemeinwohl verpflichteten Staatswesens, ein Stachel im Fleisch der täglich an Bindekraft verlierenden „Schweinchen-Schlau-“, der „bunten Republik“.

Foto: Otto Gebühr in Veit Harlans Spielfilm „Der große König“ von 1942: Erst die Potsdamer Grablege von 1991 markierte den Schlußpunkt in der Geschichte der Aneignung und Funktionalisierung Friedrich II.

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