© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Bankfeiertag in Brüssel
Euro-Rettung: Die jüngsten EU-Beschlüsse versprechen Steuergeld sogar für „Überzinsen“ der Banken
Wolfgang Philipp

Die Beschlüsse des vorweihnachtlichen EU-Gipfels, das Europa der 26 in eine von der Brüsseler Zentralmacht gesteuerte „Fiskalunion“ zu verwandeln, enthalten ein unscheinbar aussehendes Detail: Bei Leistungen der „Rettungsfonds“ EFSF und ESM soll es eine Heranziehung privater Gläubiger durch Forderungsverzicht wie im Fall Griechenland nicht mehr geben. Was das bedeutet, offenbart das Beispiel Italien.

Trotz des neuen Premiers Mario Monti mußte das Land vorige Woche für zehnjährige Staatsanleihen fast sieben Prozent Zinsen bieten. Deutschland bezahlt nur etwa zwei Prozent. Der „Überzins“ von fünf Prozent fließt unter anderem an Banken, welche die Italien-Bonds zeichnen. Damit gehen die Banken das Risiko ein, ihre Forderung ganz oder teilweise durch Eintreten der Zahlungsunfähigkeit Italiens zu verlieren. Verschlechtert sich die Bonität des Schuldners weiter, müssen die Banken Sonderabschreibungen auf ihre Forderungen vornehmen.

Das soll in Zukunft verhindert werden: Die Banken sollen trotz Krise Zinsen und Forderungen voll zu Lasten der Steuerzahler realisieren können, brauchen auf nichts zu verzichten: Die Euro-Rettungsschirme arbeiten zugunsten der Banken, nicht der betroffenen Länder. Das ist die Zielvorstellung in Brüssel. Diese wird aber durch die tatsächliche Entwicklung in Frage gestellt.

Im Falle Griechenlands zeigt sich Unerwartetes: Trotz der fließenden Milliardenhilfen durch andere Mitgliedsstaaten, die EU, den IWF und den EFSF-Rettungsschirm, stürzen die Kurse seiner Schuldverschreibungen im freien Fall, die (hohen) Zinsen werden aber bezahlt. Ausgegeben zum Kurs von 100 Prozent notierte zum Beispiel eine 2024 fällige, mit 4,7 Prozent verzinsliche Anleihe am 8. Dezember 2011 nur noch mit 18,15 Prozent. Zwei andere, mit 6,5 und 6,1 Prozent verzinsliche, in den Jahren 2014 bzw. 2015 fällige Anleihen liegen bei 21,4 bzw. 26,4 Prozent. Noch im Juli 2011 standen diese Anleihen rund doppelt so hoch.

Diese Kursentwicklung signalisiert, daß die Banken, obwohl sie in der Größenordnung von 50 Prozent auf Teile ihrer Forderungen verzichtet haben und damit einen „Entschuldungsbeitrag“ leisten, mit dem Totalausfall auch ihrer Restforderungen gegen Griechenland rechnen. Damit wäre der „Rettungsschirm“ gescheitert.

Sollte Italien in den Genuß des Rettungsschirms EFSF oder später des ESM gelangen, ohne daß eine solche Entschuldung stattfindet, sind in der Theorie nur Banken die Gewinner: Ihr Risiko, Forderung und Zinsen zu verlieren, verschwindet, soweit die Rettungsfonds durch billige Darlehen die Zahlungsfähigkeit Italiens garantieren. Die dann fließenden, niedrig verzinslichen Rettungsgelder stehen zur Verfügung, um alte Bankkredite weiter hoch zu verzinsen und bei Fälligkeit abzulösen: Das Ausfallrisiko der Banken geht auf den Euro-Rettungsfonds über. Der die hohen Bankzinsen an sich rechtfertigende Grund müßte wegfallen.

Wenn jede Sanierungsbeteiligung Privater ausgeschlossen wird, behalten die Banken also sogar den unter ganz anderen Voraussetzungen entstandenen „Überzins“, ziehen aus der Sache hohe Gewinne. Auch dafür soll der EU-Steuerzahler einstehen. Die Beschlüsse von Brüssel wären ein Grund zum Feiern für die Banken. Auch hier durchkreuzt aber die Wirklichkeit die Zielsetzungen der europäischen „Staatslenker“. Denn ohne Umschuldung (Verzicht der Gläubiger) muß das Hineinpumpen reiner Darlehensliquidität in den Insolvenzkandidaten ohne Wirkung bleiben: Es werden nur die Gläubiger ausgewechselt.

Darüber hinaus steht die „Rettung“ durch die EFSF aus anderen Gründen in Frage: Die „Gipfelverhandler“ übersehen, daß die EFSF als Vorgänger des ESM für ihre Refinanzierung jetzt schon bis zu vier Prozent Zinsen zahlen muß und Schwierigkeiten hat, die nötigen langfristigen Anleihen aufzunehmen. In ihrer Verzweiflung ist sie dazu übergegangen, statt dessen Dreimonatspapiere mit einer Verzinsung von 0,22 Prozent in Milliardenhöhe auszugeben. Was die EFSF mit kurzfristigem Geld anfangen will, steht in den Sternen. Die zu rettenden Euro-Staaten brauchen langfristiges Geld zu niedrigen Zinsen. Beides kann die EFSF nicht mehr zur Verfügung stellen, ihr Einstieg in das kurzfristige Bankgeschäft widerspricht auch der vertraglichen Feststellung, die EFSF sei keine „Bank“. Sollte die EFSF, refinanziert durch kurzfristig zurückzuzahlende Darlehen, ihrerseits das Geld langfristig ausleihen, befände sie sich in übler Gesellschaft mit den „Zweckgesellschaften“, welche ab 2007 die weltweite Bankenkrise herbeigeführt haben.

Außerdem droht die EFSF ihr Spitzen-Rating „AAA“ zu verlieren. Dann stehen die „Rettungsfonds“ EFSF und ESM nicht besser da als Italien und Griechenland, müssen ebenfalls hohe Zinsen zahlen und nehmen: Das System bricht zusammen, es entstehen zwei neue Fragen: Wer rettet den Rettungsfonds? Und wer seinen Bürgen Deutschland?

Der geplante Rettungsschirm ESM, der bereits auf Mitte 2012 vorgezogen werden soll, hat ein weiteres Problem: Hier sollen sich die Staaten verpflichten, „zu jedem Zeitpunkt“ ein Kreditvolumen von 500 Milliarden Euro sicherzustellen. Bürgschaften zugunsten der Zeichner dieser Anleihen soll es aber nicht mehr geben. Die Verpflichtung, das Kapital bereitzustellen, ist nur eine interne Verpflichtung des ESM, deren Erfüllung die Gläubiger nicht erzwingen können. Sie sind also rechtlich ohne Sicherheit. Darauf zu vertrauen, daß die 17 Mitgliedsstaaten dem ESM die erforderlichen Kapitalien bereitzustellen willens und in der Lage sind, wäre grob leichtfertig. Auch dieser „Rettungsschirm“ wird nicht funktionieren, was wiederum den eingangs beschriebenen „Bankfeiertag“ relativiert.

 

Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM

Die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF/European Financial Stability Facility) wurde im Juni 2010 als erster Euro-Rettungsfonds gegründet, für den die noch solventen Euro-Länder haften (JF 35/10). Die EFSF ist eine AG nach luxemburgischem Recht, die Kredite von bis zu 440 Milliarden aufnimmt. Das Geld wird zu Sonderkonditionen an eingeschränkt zahlungsfähige oder kreditunwürdige Euro-Länder weitergegeben. Im Oktober stimmte der Bundestag dafür, die EFSF-Mittel per „Kredithebel“ (JF 42/11) auf mindestens eine Billion Euro zu vervielfachen. Im Dezember 2011 wurde von den EU-Staats- und Regierungschefs beschlossen, bereits ab Mitte dieses Jahres den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) als zweiten dauerhaften Euro-Rettungsfonds einzurichten. Er werde „einem Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung gewähren, wenn dessen regulärer Zugang zur Finanzierung über den Markt beeinträchtigt ist“, heißt es im ersten bekannten Entwurf. Die Ersteinlage des ESM beträgt 80 Milliarden Euro. Deutschland soll davon mindestens 21,7 Milliarden Euro einzahlen (JF 50/11).

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