© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Irgendwo im Nirgendwo
Irak: Gestrandet in der Nähe von Bagdad, droht den iranischen Volksmudschaheddin der Tod
Marc Zöllner

Nur eine knappe Autostunde von Bagdad entfernt, am Rande des Highway Nummer drei und eingebettet in malerische, dicht mit Gräsern, mit wilden Dornbüschen und Reihen von Dattelpalmen bewachsenen Hügeln, liegt die kleine Stadt Ashraf. Auf den ersten Blick ein idyllisches Paradies, eine friedliebende Oase inmitten des vom Krieg erschütterten Irak, mit sorgfältig vom Staub befreiten Straßen und blendend weiß gestrichenen Wohnsiedlungen. Und doch sind es gerade die Reihen an Stacheldraht, an Gräben und Zäunen, die Wachtürme und Armeeposten, welche in Erinnerung rufen, daß Ashraf keine Stadt wie jede andere ist, selbst für irakische Verhältnisse nicht. Denn obwohl in der Peripherie der großen Metropolen Samarra, Bagdad und Kirkuk gelegen, befindet sich Ashraf samt seiner Bewohner doch nur irgendwo im Nirgendwo. Auch politisch.

Ashraf ist ein Flüchtlingslager, bewohnt von iranischen Oppositionellen. Gegründet vor 26 Jahren unter der Ägide des irakischen Diktators Saddam Hussein, war sie seitdem Heimstatt für bis zu 4.000 Soldaten und Angehörige der Volksmudschaheddin, einer marxistisch orientierten und bis an die Zähne bewaffneten iranischen Widerstandsgruppe, welche sich erst mit dem Schah von Persien und später mit dem iranischen Klerus um Ayatollah Khomeini überwarf. In den 1970er Jahren durch zahllose Terroranschläge gegen iranische Politiker sowie US-amerikanische Militärs bekannt geworden, flohen Tausende ihrer Anhänger nach dem Verbot der Volksmudschaheddin im Iran und der Verhaftung ihrer Führungselite nach Frankreich, nach Westdeutschland und insbesondere in den Irak.

Ashraf galt als Geschenk Saddam Husseins an die ihm nun treu ergebenen Mudschaheddin, als souveräner Staat im Staate sowie als erstes befreites Gebiet des Nationalen Widerstandsrates des Iran (NWRI). Als Beweis ihrer Loyalität stellten die Volksmudschaheddin im Ersten Golfkrieg ab 1988 dem irakischen Diktator eine Kompanie an Freiwilligen und halfen diesem in den 1990er Jahren bei Verbrechen gegen die kurdische Minderheit im Nordirak sowie bei der Bekämpfung der schiitischen Aufstände im Süden des Landes. Über 20.000 Anhänger, so rühmt sich NWRI-Vorsitzende Maryam Rajavi, seien für die Ziele der Volksmudschaheddin seit deren Gründung bereits „als Märtyrer gefallen“.

Seit der Entwaffnung seiner Bewohner im Jahr 2003 durch US-Truppen wandelte sich die Rolle Ashrafs jedoch vom Vorzeigemodell des marxistisch-iranischen Widerstands zum Spielball regionaler Machtpolitik. Die neue irakische Regierung, dominiert von den einst unterdrückten Minderheiten der Kurden und Schiiten, steht den Volksmudschahedin offen feindselig gegenüber. Camp Ashraf, so der einhellige Konsens zwischen dem schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki und dem kurdischen Staatspräsidenten Dschalal Talabani, gehöre besser heute als morgen aufgelöst und seine Einwohner des Landes verwiesen. Insbesondere al-Maliki verspricht sich hiervon eine Gefälligkeit dem schiitischen Iran gegenüber, mit welchem der Irak zum Mißfallen der Vereinigten Staaten die letzten Jahre engere Beziehungen aufgenommen hat.

Daß der Irak in der Ashraf-Frage selbst vor Gewalt nicht zurückschreckt, davon zeugte zuletzt ein Massaker im April 2011, als irakische Sicherheitskräfte bei der Erstürmung des Lagers 34 Zivilisten töteten sowie den über 200 Verletzten eine medizinische Behandlung verweigerten. Um den Druck nach Auflösung Ashrafs, wie von der irakischen Regierung bis zum 31. Dezember 2011 gefordert, zu erhöhen, wurden noch in der Vorwoche mehrere Raketenangriffe auf das Lager initiiert sowie Strom- und Wasserleitungen gekappt.

Doch trotz einer diplomatischen Intervention der USA, die Mudschaheddin schrittweise in eine ihrer aufgegebenen Militärbasen am Rande Bagdads, dem Camp Liberty, zu verlegen, weigern diese sich beharrlich. Nicht unbegründet fürchten sie eine Auslieferung an den Iran, in welchem viele von ihnen die Todesstrafe erwarten würde. Bis April bleibt ihnen nun Zeit, zusammen mit dem Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen sowie den USA, deren neokonservativer Flügel sich von den Mudschaheddin eine operationelle Möglichkeit im Kampf gegen den Iran verspricht, ein sicheres Drittland als Asyl zu suchen. Aufnahmebereit fand sich bislang jedoch niemand.

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