© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  02/12 06. Januar 2012

Grüße aus Wien
Tanz um den Ball
Michael Howanietz

Die Spuren des traditionellen Silvesterpfades sind weitgehend beseitigt. Nur hie und da finden sich noch Hinterlassenschaften der achthunderttausend Besucher. So treibt der Wind, neben anderem Müll, einige Goldverpackungen von Euro-Schokomünzen über die Straße. Gleiches könnte bald schon den „echten“ Vorlagen der Schokotaler blühen. Wenn sie zu windgängigen Leichtgewichten mutieren, wird das aber nicht mit zartem Schmelzen, sondern bitterem Nachgeschmack auf der Zunge einhergehen.

Schnee gab es zum Jahreswechsel wieder keinen. Außer in den Hotelzimmern betuchter Gäste und einschlägig bekannten Schickeria-Bars. Dafür gab es heuer ein besonders opulentes Feuerwerk. Augenschmaus, der satt macht. Wenigstens für den Moment. Sonst gehen die Lichter in der Walzerstadt früh aus. Nicht im Café Hawelka, dessen legendärer Begründer Leopold Hawelka am 29. Dezember im 101. Lebensjahr verstorben ist. Wohl aber im Justizministerium, wo die Rechner im Zuge des Stromsparens täglich um 17.30 Uhr heruntergefahren werden müssen – was die Ermittlungen von Staatsanwälten nicht erleichtert, wie aus der Richter-Gewerkschaft verlautet. Und in der Hofburg, aus der die zuständige Betreibergesellschaft den WKR-Ball des Wiener Korporationsringes ab 2013, unter sonderbaren Begründungen, ausgeladen hat.

Sei’s drum, meint der Durchschnittswiener dazu achselzuckend. „Wer weiß, ob uns 2013 noch zum Tanzen zumute ist.“ Dank notorisch erfolgloser Fußballspieler ist in Wien schon der Tanz um den Ball ein Dauerthema der Stammtischrunden. Jetzt wird verstärkt auch der Tanz auf dem Korporationsball diskutiert.

Und der Tanz auf dem Vulkan. Zu einem solchen entwickeln sich zunehmend die Folgen der vorgeblichen Euro-Rettung. Auch die werden in den Wiener Beisln mit steigender Vehemenz erörtert. Tatsächlich ist physikalisch kaum nachzuvollziehen, daß man zwar einen Schirm hat, aber trotzdem im Regen steht und sich dabei kalte Füße holt, während man sich die Finger verbrennt.

Die im Wind tanzenden Goldplättchen, die einst Schokolade-Euros ummantelten, kümmert das wenig. Sie torkeln dorthin, wo der kalte Luftstrom sie haben will. Das verbindet sie mit den Worthülsen, die sogenannte Volksvertreter in Regierungsverantwortung und auf Geheiß Brüssels absondern. Denkt jedenfalls der neujahrsfeierverkaterte Wiener.

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