© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Das fünfte Evangelium
Eine biblische Zeitreise im heutigen Israel
Mathias von Gersdorff

Vom Benediktinermönch und Archäologen Bargil Pixner (1921–2002), der durch spektakuläre Ausgrabungen in Israel aus der biblischen Zeit bekannt wurde, stammt für das Heilige Land die Bezeichnung „Das fünfte Evangelium“. In der Tat, wenn man in Israel gewesen ist, liest man die Bibel ganz anders, denn vor dem inneren Auge hat man die Landschaft, die Pflanzen- und Tierwelt, die orientalische Kultur zwischen dem See Genezareth, Totem Meer und der levantinischen Küste.

Die Mehrheit der Bücher, die dieses „fünfte Evangelium“ beschrieben haben (es sei hier an Gerhard Krolls „Auf den Spuren Jesu“, Bargil Pixners „Mit Jesus durch Galiläa nach dem fünften Evangelium“ und „Wege des Messias und Stätten der Urkirche“ und den leider etwas in Vergessenheit geratenen Louis Fillion, Carsten Peter Thiedes „Ein Fisch für den römischen Kaiser“ sowie Michael Hesemanns „Jesus von Nazareth“ und „Paulus von Tarsus“ erinnert), sind aber nicht ganz leicht zu lesen, weil sie oft tief in archäologische Befunde greifen und länger Randerscheinungen der antiken Geschichte erläutern müssen, um die Welt am Anfang unserer Zeitrechnung beschreiben zu können. Für den interessierten Leser sicherlich eine faszinierende Lektüre, doch für viele wahrscheinlich zu trocken und detailgesättigt.

Wer es nicht ganz genau wissen will, dennoch etwas Seriöses lesen möchte, kann nun zu Karl-Heinz Fleckensteins „Sag, Simon, wie war es damals?“ greifen. In der Form von Dialogen mit biblischen Personen wird der Alltag der Bibel beschrieben. Fleckenstein lebt seit 1981 in Jerusalem und führt als Reiseleiter Pilger im Heiligen Land. Die dreißigjährige Erfahrung des bibelkundigen Autors und Journalisten legt der Verlag Media Maria nun dem interessierten deutschen Leserpublikum vor.

Fleckenstein benutzt meist die Bibel selbst als Quelle. Und man ist überrascht, wie präzise und detailliert die biblischen Beschreibungen sind und wie wichtig manche Einzelheiten, die man bei schnellem Lesen oft übergeht, für das Heilsgeschehen waren. Wenn man alle in der Bibel enthaltenen Einzelheiten über Feste, Gesellschaftsleben, Politik, Geldwesen, Kosmetik sammelt, wie das der Autor auf seinen vielen Pilgerreisen getan hat, entsteht ein sehr konkretes, greifbares und anschauliches Bild des Alltagslebens in Palästina zur Zeit Jesu. So läßt Fleckenstein beispielsweise Maria einen Vortrag über das Brotbacken halten, Petrus erklärt sein Fischernetz, was natürlich Aufschlüsse über damalige Nahrungsgewohnheiten gewährt. Und wenn Paulus erklärt, welche Voraussetzungen man brauchte, um Schriftgelehrter zu werden, gibt er damit auch Aufschluß über das soziale Gefüge.

Das Buch ist in Frage-Antwort-Form verfaßt, um den Text lebendiger zu machen. Das ist zwar eine gute Idee, der Leser darf aber nicht erwarten, etwa einer Unterhaltung mit der Mutter Gottes beizuwohnen – zu pragmatisch und diesseitig ist der Sprachduktus. Ebenso wäre es auf jeden Fall ratsam gewesen, die eine oder andere Abbildung einzufügen, um manche Beschreibungen besser verständlich zu machen. Das Buch ist schön zu lesen und schafft es, ein umfassendes Bild der Alltagswelt der Bibel zu geben. Somit ist das Buch auch ein Beitrag zum Verständnis des historischen Jesus von Nazareth und der Welt, in der er wirkte.

Karl-Heinz Fleckenstein: Sag, Simon, wie war es damals? Zeitreise in den Alltag der Bibel. Verlag Media Maria, 160 Seiten, gebunden, 14,95 Euro

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