© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Tätervolk und Hexenjagd
Einsamer Streiter gegen die Kollektivschuldthese: Der Bayreuther Politikwissenschaftler Konrad Löw feiert am 25. Dezember seinen 80. Geburtstag
Felix Dirsch

Besucht man die Bayerische Staatsbibliothek in München, so trifft man ab und zu einen rüstigen älteren Herrn, der sich sehr für zeithistorische Literatur interessiert. Das ist nicht außergewöhnlich, mag man denken. Bemerkenswert ist jedoch, wie besagter Bücherfreund seine Funde zu dokumentieren und auszuwerten weiß. „Warum verfinstert sich das Bild der unter Hitler lebenden Deutschen?“

Keine Frage treibt den Emeritus Konrad Löw so sehr um wie diese. Viele Prügel muß er dafür einstecken, daß seine Antworten anders ausfallen als die der meisten Kollegen. Die Auswahl und Beurteilung seiner Quellen löcken wider den Stachel der „Staatswahrheit“ von der „deutschen Schuld“, wie er selbst schreibt. Was macht Löw im effektheischenden bundesdeutschen Zeithistoriker-Betrieb so einzigartig? Er weigert sich standhaft, das als Ergebnis von Forschungen zu präsentieren, was politische Auftraggeber, etwa das Auswärtige Amt oder die vielen medialen Ankläger der eigenen Vorfahren, fordern.

Stattdessen untersucht er eine Fülle zeitgenössischer Aussagen, meist von jüdischen Zeugen. Das Resultat entlarvt manches Vorurteil. Man findet in Victor Klemperers Tagebüchern den Hinweis, das Volk empfinde die „Judenverfolgung als Sünde“. Der protestantische Lieddichter Jochen Klepper, mit einer Frau jüdischer Herkunft verheiratet, notiert nach der Reichspogromnacht, wenigstens das „Volk“ sei ein „Trost“. Auch Konrad Adenauer betont in einer Erklärung 1953, zwar gebe es an dem „unermeßlichen Leid“, das viele Deutsche über die Juden gebracht hätten, nicht den geringsten Zweifel. Allerdings habe das deutsche Volk „in seiner überwiegenden Mehrheit“ solche Verbrechen verabscheut.

Klare Worte, die freilich kein Repräsentant der nach dem ersten Bundeskanzler benannten CDU-nahen Stiftung heute auszusprechen wagte. Zu tief sitzt das Dogma vom Tätervolk. Nicht von ungefähr hat diese Einrichtung Löw kürzlich zu einem Vortrag eingeladen, um ihn dann (wegen unvorhersehbarer Raumnot) abzusagen. Wenig erstaunlich bei den verbreiteten Mentalitäten ist es, daß die Bundeszentrale für politische Bildung über einen längeren Zeitraum hinweg die Polemik des US-Historikers Robert Gellately („Hingeschaut und weggesehen. Hitler und sein Volk“) finanziell bezuschußt hat, deren besonderes Anliegen es ist, die Kollektivschuldthese zu untermauern. Das Machwerk ist so einseitig, daß es sogar dem amtierenden Bundestagspräsidenten unseriös erscheint. Kein Einzelfall freilich.

Bei so vielen unliebsamen Neuigkeiten, insbesondere in Löws Studien „Das Volk ist ein Trost“ und „Deutsche Schuld 1933–1945?“, verwundern die Antipathien der politischen Korrektheit nicht. 2004 makuliert die dem Bundesinnenministerium unterstehende Zeitschrift Deutschland-Archiv eine Ausgabe, die einen harmlosen Aufsatz des Professors über „deutsch-jüdische Identität“ enthält. Weil der Verfasser darin Überlegungen einer deutsch-jüdischen Symbiose vor 1933 äußert, wird ein Teil der Auflage nicht ausgeliefert. Der Redakteur distanziert sich mit unüberbietbarer Theatralik „aufs Schärfste“. Das Bundesverfassungsgericht erklärt 2010 – ohne größerer publizistische Aufmerksamkeit – diese Form moderner Bücherverbrennung für verfassungswidrig.

Löw bekennt sich bereits früh als streitbar. Der 1931 als Sohn eines (zeitweise inhaftierten) NS-Gegners in München Geborene studiert in seiner Heimatstadt Rechtswissenschaften. Nach der Promotion bei dem streitbaren Verfassungsjuristen Theodor Maunz, der die spätere Crème de la Crème der bundesdeutschen Staatsrechtslehre ausbildet, beginnt Löw seine Karriere im höheren Staatsdienst. Später erhält er einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft in Bayreuth. Der Gelehrte beschäftigt sich (neben klassischen Themen der Politologie) mit Karl Marx und seinem Werk. Faktengesättigt belegt Löw, wie sich einige „Kenner“ der Materie als Mythenbildner betätigen. Selbst der Jesuit Oswald von Nell-Breuning äußert panegyrisch, wir alle stünden auf den „Schultern von Marx“. Die antijüdischen Ausfälle des roten Kirchenvaters bleiben üblicherweise unbeachtet, ebenso seine haßerfüllten Ausfälle gegen Andersdenkende.

Viele weitere Schriften hat Löw publiziert. In einer Darstellung über „Hexen und Hexenjäger“ weist er darauf hin, daß das Grundrecht auf Religionsfreiheit auch den sogenannten Sekten zustehe. In einer kleinen Untersuchung fordert er einen Umgang mit dem Judentum jenseits von Verleumdung und Tabu. Seit Jahren veröffentlicht er auch in der JF.

Kennzeichnend für die Situation der deutschen Geschichtswissenschaft ist es, daß nirgendwo ein Nachfolger für den inzwischen Achtzigjährigen in Sicht ist, der sein Werk fortsetzen könnte. Umso mehr sind ihm noch viele produktive Jahre zu wünschen. Die Feier zum Wiegenfest wird der Jubilar im Kreise seiner Familie (fünf Kinder und neun Enkelkinder) verbringen.

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