© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Entwarnung!
Trotz Maya-Kalender: Die Welt wird auch 2012 nicht untergehen
Baal Müller

Die Erdbeben auf Haiti und in Japan, Vulkanausbrüche auf Sizilien und in Chile, die Finanzkrise in der westlichen Welt, der „arabische Frühling“ und natürlich der Klimawandel: In diesen und vielen weiteren Ereignissen sehen Esoteriker Vorboten einer angeblich von den Maya für den 21. Dezember 2012 vorhergesagten kosmischen Umwälzung. Diese gehe einher mit dem Eintritt der Sonne in eine „dunkle Spalte“ der Milchstraße, einem „Synchronisationsstrahl“ aus deren Zentrum und einem daraus folgenden Bewußtseinswandel, einer Wiederkehr der Götter – oder Außerirdischen –, gewaltigen Katastrophen oder gar mit dem Weltuntergang.

Als „Beleg“ für diese Spekulationen, die durch Roland Emmerichs bildgewaltiges Untergangsepos „2012“ weiteste Verbreitung gefunden haben, wird angeführt, daß an diesem Datum der Maya-Kalender ende und eine besondere Sternenkonstellation einträte. Was hat es damit auf sich?

Die astronomischen Berechnungen der Maya richteten sich nach drei Kalendern mit unterschiedlichen Funktionen, die auf der Zählung der Tage nach einem Zwanzigersystem (anhand von Fingern und Fußzehen) beruhten: Es gab den Haab-Kalender, der zur Berechnung von Saat- und Erntezeiten diente und 365 Tage umfaßte, den rituellen Tzolkin mit 260 Tagen, die jeweils einer Schutzgottheit zugeordnet waren, sowie die „Lange Zählung“ zur Erfassung historischer oder kosmischer Zeiträume. 20 Kin (Tage) bilden ein Uinal; 18 Uinal ein Tun, also ein Jahr mit 360 Tagen; 20 dieser Jahre sind ein Katun und 20 Katun ein Baktun von 144.000 Tagen.

Am 21. Dezember des kommenden Jahres wird der gegenwärtige 13. Baktun-Zyklus enden und der Zahlenwert des Ausgangstages (nach der Maya-Notation 13.0.0.0.0.) wiederkehren, der zuletzt im Jahr 3114 v. Chr. nach unserer Zeitrechnung erreicht war, in dem die Schöpfung, jedenfalls in ihrer derzeitigen Form, nach der Kosmologie der Maya erfolgt sei.

Gleichwohl war es diesen möglich, auch davor liegende Zeiträume zu berechnen, und ebenso haben sie Daten wie das Thronjubiläum des Herrschers Pacal im Jahre 4772 unserer Zeit angegeben, so daß Beginn und Ende des rund 5.125 Jahre währenden Zyklus nicht mit Anfang und Ende der Zeit überhaupt zusammenfallen.

Welche religiösen Vorstellungen die Maya mit diesen Daten verbanden, ist aufgrund der schlechten Quellenlage infolge der Zerstörung ihrer Literatur durch christliche Missionare umstritten; interessant ist, daß das exakte Datum des Zyklusbeginns der langen Zählung im Tzolkin-Kalender (der 11. August 3114 v. Chr.) die genaue Angabe „4 Ahau“ enthält, die sich auf die vier ersten Menschen und Herren der „Menschen aus Mais“ beziehen (Ahau = Herr), woran sich Spekulationen bezüglich eines „neuen Menschen“ zu Beginn des nun anbrechenden Zyklus knüpfen.

Da im Jahr 2012 die Wintersonnenwende auf den 21. Dezember fallen wird, liegt es nahe, daß viele Autoren die in den erhaltenen Maya-Codizes sowie im Popol Vuh, dem heiligen Buch der Quiché-Maya, überlieferte solare Mythologie heranziehen. Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang der Sonnengott Hunapú, der während der längsten Nacht des Jahres stirbt und wiedergeboren wird – freilich geschieht dies, mythologisch gesehen, jedes Jahr, weshalb es zur Untermauerung apokalyptischer Thesen nicht sonderlich geeignet ist, zumal die Überlieferungen der Maya über eine Neuerschaffung der Welt keine Aussagen enthalten.

Ähnlich verhält es sich mit der angeblichen „Konjunktion der Sonne zur Milchstraße“, wie es, reichlich schwammig, in der esoterischen Literatur heißt. Gemeint ist damit, daß die Sonne dann die „dunkle Spalte“ der Milchstraße durchqueren beziehungsweise der Sonnengott in den Schoß der „kosmischen Mutter“ eintauchen und – dem nordischen Baldur vergleichbar – wiedergeboren wird.

Tatsächlich liegt die Bahn der Sonne, wenn diese im Dezember das Sternbild des Schützen durchläuft, vor einem dunklen Bereich interstellarer Gaswolken, die kein Sternenlicht durchlassen, aber auch dies ist alljährlich zu beobachten. Andere Behauptungen – zum Beispiel daß die Planeten nächstes Jahr eine gerade Linie bilden würden oder die Sonne dann das Sternbild der Plejaden umkreist habe – beruhen auf völliger Unkenntnis astronomischer Zusammenhänge; und die zahlreichen Internetseiten, auf denen esoterische Autoren erklären, wie wir unser Bewußtsein für das kommende Zeitalter transformieren sollen, dienen der Selbstvermarktung. Ulkige Blüten treibt diese etwa auf www.21dezember2012.org, wo unter dem Zähler, der die Tage bis zum „Weltuntergang“ angibt, „Survival-Kits“, „Wasserfilter“ und „Notfall-Sets“ angeboten werden.

Die Kosmologie der Maya war um einiges klüger als die meisten ihrer Interpretationen, die heute im Internet kursieren. Sie erstaunt aber nicht nur durch ihre Exaktheit, sondern auch durch ihre Parallelen zur indoeuropäischen Mythologie: So ähnelt der Himmelsbaum Wacah Chan, der im Totenreich wurzelt und als kosmische Achse zum Polarstern aufragt, der nordischen Weltesche Yggdrasil sowie den Weltbäumen der Upanishaden und des persischen Avesta; und wenn er außerdem die Leiter darstellt, an der die Seelen der Verstorbenen hinauf oder hinab wandern, sind die Analogien zur schamanischen Vorstellungswelt sibirischer oder mongolischer Völker unverkennbar.

Auch die „Bacabs“, die vier Riesen, die den Himmel stützen, oder die Himmels-, Sturm- und Gewittergötter, die Wasser-, Fruchtbarkeits- und Naturgottheiten finden ihre Entsprechungen im Pantheon der indogermanischen wie zahlreicher indigener Völker. Ob diese Ähnlichkeiten aus archetypischen Grundmustern resultieren, mit denen der menschliche Geist auf die ihm überall begegnenden Naturphänomene reagiert, oder ob sie sich von einer eurasischen Urverwandtschaft aus der Zeit vor der Besiedlung Amerikas herleiten, ist eine andere Frage; beides muß sich nicht ausschließen.

Sicher ist es sinnvoller, von solchen Beobachtungen aus Verbindungslinien zu unserem kulturellen Erbe zu ziehen, als die biblischen Apokalypse-Vorstellungen und die ihnen zugrundeliegende lineare Zeitauffassung auf die völlig anders geartete, zyklisch-kosmozentrische Maya-Kultur zu übertragen.

Foto: Maya-Kalender oder Sonnenstein: Die Schnitzereien im Stein stellen die vier Zyklen der Schöpfung und Zerstörung dar. Der Schädel in der Mitte bildet Gott Tonatiuh ab, die fünfte Sonne.

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