© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Lange Gesichter in Niederschlesien
EU-Recht: Polen bekommt wegen deutschem Versäumnis Schutzmarke für „Schlesischen Streuselkuchen“
Paul Leonhard

Lüneburger Heidschnucke, Allgäuer Emmentaler, griechischer Feta- und Manouri-Käse, Champagner oder Parmaschinken eint nicht nur, daß sie von Feinschmeckern begehrt sind, sondern auch, daß sie unter einem speziellen Schutz der EU stehen. Es handelt sich um regionaltypische Spezialitäten, deren Namen als „Geschütze Ursprungsbezeichnung“ (g.U./englisch: PDO) von anderen nicht genutzt werden können. So darf der Parmaschinken nur in der Region Parma geschnitten werden.

Erzeugung, Verarbeitung und Herstellung der geschützten Produkte dürfe nur in einem bestimmten geographischen Gebiet nach einem anerkannten und festgelegten Verfahren erfolgen, schreibt die EU vor und droht bei Verstößen mit saftigen Strafen. Die „Geschützte Ursprungsbezeichnung“ ist aber nicht das einzige Herkunftssiegel, das Europa vergibt. Mozarella und Serrano-Schinken gelten als „garantiert traditionelle Spezialität“. Hier ist nicht die geographische Herkunft geschützt, sondern die traditionelle Zusammensetzung oder das traditionelle Herstellungsverfahren.

Während deutsche Produkte in dieser Kategorie nicht gemeldet sind, gibt es zahlreiche, die das EU-Siegel „geschützte geographische Angabe“ (g.g.A./englisch: PGI) tragen – so beispielsweise Aachener Printen, Ammerländer Dielenrauchschinken, Dortmunder Bier, Dresdner Christstollen, Düsseldorfer Mostert, Hofer Rindfleischwurst, Holsteiner Karpfen, Lübecker Marzipan, Nürnberger Bratwürste und Lebkuchen, Schwäbische Maultaschen, Schwarzwälder Schinken, Spreewälder Gurken oder Thüringer Rostbratwurst und Rotwurst. In Österreich sind es diverse Käse wie der Gailtaler und Tiroler Bergkäse als g.U.-Produkte, aber auch Steirisches Kürbiskernöl, Marchfeldspargel, Tiroler und Gailtaler Speck sowie Mostviertler Birnmost als „g.g.A.“.

Etwa 400 regionaltypische Lebensmittel sind inzwischen geschützt, darunter mehr als 60 deutsche. Über die Einhaltung des EU-Markenschutzes wacht der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Das bekamen vor drei Jahren die niederländischen Bavaria-Brauer zu spüren. Sie verloren einen Rechtsstreit, den der Bayerische Brauerbund angestrengt hatte. Es ging um die Bezeichnung „Bayerisches Bier“. Die Richter werteten die 2001 erfolgte Aufnahme des Bayerischen Biers als „geschützte geographische Angabe“ als höherwertig als die älteren Bavaria-Markenrechte. Schwieriger ist es in Regionen, wo im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges die angestammte Bevölkerung vertrieben wurde. So entschied die EU, daß der von der Tschechei geschützte Begriff „Karlsbader Oblaten“ bis 2016 auch für Waffeln verwendet werden darf, die der Spezifikation für „Karlovarské oplatky“ nicht entsprechen.

Für Ärger dürfte weiter ein erfolgreicher polnischer Vorstoß sorgen. So darf Schlesischer Streuselkuchen jetzt nur noch so bezeichnet werden, wenn er in der oberschlesischen Woiwodschaft Oppeln (Opole) sowie zwei Dutzend benachbarten Kreisen und Städten gebacken wurde. Dazu zählen Gleiwitz (Gliwice), Hindenburg (Zabrze), Beuthen (Bytom) und Kattowitz (Katowice), nicht aber die niederschlesische Region zwischen Breslau und Görlitz.

Im Sommer hat die EU-Kommission dem Antrag Polens zugestimmt. Die Bezeichnung „Kołocz śląski/Kołacz śląski“ wurde in das Register der geschützten Ursprungsbezeichnungen und der geschützten geographischen Angaben eingetragen. Genau werden die verschiedenen Varianten aufgezählt: ohne Füllung, mit einer Füllung aus Quark, Mohn oder Äpfeln. Die obere Schicht bestehe auf Streusel. Im abgegrenzten geographischen Gebiet müßten folgende Herstellungsschritte erfolgen: Bereitung des Hefeteigs, Zubereitung der Füllung und der Streusel, Teilen und Ausrollen der Teigstücke, Formen des Teigs auf dem Backblech und Aufbringen der Schichten, Backen und Verzieren.

Damit darf die Mehrheit der in Schlesien ansässigen Bäcker ihre Produkte nicht mehr als „Schlesischer Streuselkuchen“ verkaufen. Ein Vorgang, der insbesondere den Bäckern im bei Deutschland verbliebenen Teil Schlesiens bitter aufstößt. Denn auch hier wird seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich Schlesischer Streuselkuchen nach alten Rezepten gebacken. Oberschlesien sei nie ein Schwerpunkt in der Produktion von Schlesischem Streuselkuchen gewesen, schimpft ein Mitglied der niederschlesischen Bäckerinnung. Auch habe der „Sträselkucha“ in der polnischen Küche nie eine Rolle gespielt. Tatsächlich zitiert der polnische Antrag ein Gedicht aus einem 1937 in Breslau veröffentlichten „Deutschen Lesebuch für Volksschulen“: „Streuselkuchen mit Wohn, Quark und Äpfeln/schlesischer Streuselkuchen/wie es auf Gottes weiter Erde/nichts Bessres gibt!“

Strenggenommen hätte der Streuselkuchen das Siegel „geschützte geographische Angabe“ gar nicht erhalten dürfen. Ein Blick in die Geschichte des flachen Blechkuchens aus süßem Hefeteig zeigt, daß Streuselkuchen im 19. Jahrhundert und später sowohl in Schlesien als auch in den angrenzenden preußischen Provinzen zu den bekanntesten hausgebackenen Kuchen zählte und spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts auch im Rheinland allgemein bekannt war.

„Welches schlesische Gemüth würde nicht aufs Innigste ergriffen, denkt es an Streuselkuchen, an dies Wahrzeichen unseres Vaterlands“, dichtete der Breslauer Poet Karl von Holtei. Oberschlesiens Bäcker haben sich das Wahrzeichen jetzt schützen lassen, und die deutschen und polnischen Bäcker in Niederschlesien haben über dem täglichen Backen versäumt, Einspruch einzulegen. Immerhin hatten sie dafür sechs Monate Zeit.

EU-Datenbank der geschützten Produkte: www.ec.europa.eu

Foto: Schlesischer Streuselkuchen: Über dem täglichen Backen versäumt, bei der EU Einspruch einzulegen

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