© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

„Kein guter Tag für die Schweiz“
Schweiz: Nach der erneuten „Demütigung“ der SVP bei der Bundesratswahl mehren sich die Stimmen, in die Opposition zu gehen
Frank Liebermann

Wer das politische System der Schweiz verstehen möchte, muß sich mit dem Begriff der Konkordanz (lat. concordare „übereinstimmen“) auseinandersetzen. Für die Konsensdemokratie der Schweiz bedeutete das lange Zeit, daß die sieben Sitze der Bundesregierung (Bundesrat) nach einem Proporz vergeben wurden, der sogenannten „Zauberformel“. Die drei größten Parteien erhielten jeweils zwei Sitze in der Regierung, die viertgrößte einen. Dieses System hat solange funktioniert, wie die Sozialdemokraten (SP), die Freisinnigen (FDP) und die Christdemokraten (CVP) die größten Parteien waren. Als die rechtsbürgerliche Schweizerische Volkspartei (SVP) 2007 die stärkste Partei wurde, brachen die anderen Parteien erstmals die Konkordanz. Sie wählten anstelle des offiziellen SVP-Kandidaten Christoph Blocher die auf Bundesebene unbekannte Eveline Widmer-Schlumpf. Diese wurde aus der Partei ausgeschlossen und gründete daraufhin die Bürgerlich-Demokratische Partei (BDP) als Abspaltung der SVP.

Bei den Parlamentswahlen im Oktober hatte die SVP, mit großem Abstand stärkste Partei (26, 6 Prozent), erneut Anspruch auf zwei Bundesräte. Sie scheiterte vergangene Woche wieder. Zwar konnte SVP-Urgestein Ueli Maurer seinen Sitz behaupten, der Rest der Sitze ging aber an SP (2), FDP (2), CVP (1) und an die BDP, die bei der Parlamentswahl 5,4 Prozent erhalten hatte

„Kein guter Tag für die Schweiz“, erklärte daraufhin Maurer. „Es hat ein Systemwechsel stattgefunden“, unterstreicht SVP-Nationalrat Oskar Freysinger gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Das Konkordanzprinzip scheint am Ende.

Sicher, ein Grund für das Scheitern der SVP war auch deren eigenes Unvermögen. Nachdem sie den Kandidaten Bruno Zuppiger kurz vor der Wahl abberufen mußte, weil ein Verfahren wegen Veruntreuung einer Erbschaft gegen ihn anhängig ist, brachte sie auch die verbündete FDP gegen sich auf, als sie ihren Kandidaten gegen die Liberalen antreten ließ.

Dessenungeachtet stand schon lange vor den Bundesratswahlen fest, daß die SVP – obwohl diese „extrem konsensfähige“ (Freysinger) Kandidaten aufgestellt hatte – kaum Chancen auf einen zweiten Bundesrat hatte. Kein Wunder also, daß die rechtsliberale Weltwoche der SVP nach der „erneuten Demütigung durch das Parlament“ rät, den Bundesrat zu verlassen und in die Opposition zu gehen. Den endgültigen Entscheid über den einzuschlagenden Weg soll nun eine für den 28. Januar terminierte SVP-Delegiertenkonferenz treffen.

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