© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  52/11-01/12 / 23./30. Dezember 2011

Der Bel-Ami von Schloß Bellevue
Kredit-Affäre: Bundespräsident Christian Wulff wird von seiner Vergangenheit als publicitysüchtiger Provinzpolitiker eingeholt
Paul Rosen

Wer ist Christian Wulff? Schwiegersohntyp oder toller Hecht? Äußert er Visionen, oder ist der Präsident nur eine Art „Bundesteddybär“ (Financial Times), der Orden umhängt, langweilige Reden hält und Kränze an Gedenkstätten abwirft? Der mit 52 Jahren jüngste Präsident der Bundesrepublik ist vermutlich eine Mischung aus allem. Die jüngste und beileibe nicht erste Affäre läßt den Präsidenten zum Ritter der traurigen Gestalt werden – ein bürgerlicher Herr, dessen korrekte Frisur und Bügelfalten Erinnerungen an andere, vielleicht bessere Zeiten hervorrufen. Reden und Handlungen lassen den kurzen Abschnitt Wulff in der deutschen Präsidialgeschichte jedoch tragisch-trivial schimmern.

„Wulff ist bürgerlicher Durchschnitt durch und durch. Das Wildeste an ihm ist die Tätowierung seiner Frau“, spottete Jakob Augstein im Freitag. In der Zeit wurde das Bild vom fleißigen Langweiler aufgegriffen und die Wende seines Lebens beschrieben: „Sein neues Leben an der Seite einer schönen jungen Frau, die Zuschreibung als ‘junger Präsident’, die Bekanntschaft mit den Wichtigen und Schönen der Welt, das alles muß Wulff wie ein Upgrade vorgekommen sein.“ Er „profitiert von der Modernität seiner Gattin: Ihre jugendliche Tätowierung verleiht seinen gediegenen Anzügen einen Hauch Verruchtheit. Wer so eine Frau hat, muß ein toller Hecht sein“, ironisierte Regisseur Florian von Stetten im Focus.

Tatsächlich hat Wulff immer versucht, den tollen Hecht zu spielen, indem er sich meist einen halben Meter neben oder vor der Parteilinie aufhielt. Er ließ sich gerne zu den „Jungen Wilden“ in der CDU zählen und gehörte zum „Andenpakt“, jenem auf einer Südamerika-Reise entstandenen Männer-Bündnis in der CDU, das von Kanzlerin Angela Merkel inzwischen komplett abgeräumt wurde. Seine Karriere verlief zäh und war nicht frei von Niederlagen. Zwar hatte der aus Osnabrück stammende Politiker seinen niedersächsischen CDU-Landesverband fest im Griff, aber zweimal verlor er Landtagswahlen gegen Gerhard Schröder (SPD). Nach der dritten Niederlage wollte er aufgeben, gewann aber doch, nachdem Schröder als Kanzler nach Berlin gezogen war. Wulff gilt als Entdecker von Ursula von der Leyen, die für eine strikt sozialdemokratische Sozialpolitik steht und deren Gender-Mainstream-Vorstellungen selbst wertebewußte Grüne aufschrecken. Mit Aygul Özkan machte er eine Muslimin zur Sozialministerin, die die Presse auf eine „kultursensible Sprache“ verpflichten wollte. Soll heißen: Über Ausländer darf nur Gutes berichtet werden.

Spätestens als Wulff erklärte, mit dem Minsterpräsidentenamt sei er „am Ziel seiner politischen Träume“ und für die Kanzlerschaft fehle ihm „der unbedingte Wille zur Macht“, war Merkel mißtrauisch geworden. Nach der Berliner Lesart hatte Wulff damit weitergehende Ansprüche angemeldet, was nur Konkurrenz für Merkel bedeuten konnte. Der Rücktritt von Bundespräsident Horst Köhler kam „Mutti“, wie Merkel von Andenpaktlern genannt wird, höchst gelegen: Sie beförderte den Niedersachsen nach oben weg, wobei die Wahl zum Bundespräsidenten erst im dritten Wahlgang klappte. Wußten einige Wahlmänner mehr über Wulff als sie sagten, fragen sich heute viele angesichts der Kredit-Affäre des Präsidenten.

Wulff, der schon direkt nach der Wahl über die „bunte Republik“ Deutschland räsoniert und damit erkennen lassen hatte, wohin die Reise gehen soll, ist keineswegs „der schweigende Präsident“, wie es in einer irreführenden Spiegel-Geschichte hieß. „Unter seinem Schirm soll, das ist Wulffs Agenda, sein präsidialer Traum wachsen: die zweite deutsche Einheit, die Vereinigung von Bürgern deutscher und ausländischer Herkunft“, beschrieb Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung treffsicher die Ideologie von Wulff, der eine andere Nation im Sinn hat.

Prantl konnte sich auf den Präsidenten verlassen, nachdem dieser zum Tag der deutschen Einheit 2010 feststellte, daß der Islam zweifelsfrei zu Deutschland gehöre. „Solange der Islam sich seiner Aufklärung verweigert, solange er keine Götter duldet neben sich, solange er Andersgläubigen und nichtgläubigen Bekehrung oder Unterwerfung und Abtrünnigen den Tod androht, solange gehört er nicht zu Deutschland“, entgegnete die Schriftstellerin Monika Maron. Bereits kurz zuvor hatte Wulffs Opportunismus mit seinem Verhalten gegen Thilo Sarrazin einen Höhepunkt erreicht. „‘Nicht hilfreich’, flötete die Kanzlerin, und schon tanzte Wulff nach dem Takt des Establishments und legte der Bundesbank nahe, Sarrazin zu feuern“, kommentierte die Tagespost. Da Wulff derjenige war, der über den Entlassungsantrag zu entscheiden hatte, machte er sich zu Staatsanwalt und Richter gleichzeitig. Nur Sarrazins Größe konnte es Wulff verdanken, daß es keinen Prozeß gab, der zu einer Staatskrise geführt hätte.

Wohin der Zeitgeist auch weht, Wulff segelt mit. In einer Rede vor dem Verfassungsgericht kritisierte er die Beschränkung von Parlamentsrechten und vor Wirtschaftsnobelpreisträgern die Banken: „Das Versagen von Eliten bedroht langfristig den Zusammenhalt in der Gemeinschaft, in der Gesellschaft.“ Auf dem Bankentag 2011 sagte er Worte, die jetzt allen mächtig in den Ohren klingeln: „Wer zur Elite eines Landes gehören will, muß auch Vorbildfunktion und Verantwortung übernehmen – ohne Wenn und Aber.“

Mit Vorbildfunktion und Verantwortung läßt sich sicher verbinden, daß man auf Empfängen mit dem Finanzvertriebs-Millionär Carsten Maschmeyer spricht oder mit dem Immobilien-Unternehmer Egon
Geerkens. Aber Vorbildfunktion und Verantwortung werden verletzt, wenn Wulff in Maschmeyers Ferienpalästen Urlaub macht oder sich von der Familie Geerkens zinsgünstig eine halbe Million Euro leiht, um ein Haus zu finanzieren, das nur 415.000 Euro gekostet hat. Experten von Finanztest errechneten einen finanziellen Vorteil von 60.000 Euro für Wulff, der aber diesen Teil der Geschäftsbeziehungen zum Geerkens-Imperium in einer Antwort auf eine Oppositionsanfrage zu Egon Geerkens nicht angab, weil Frau Geerkens den Kredit ausgereicht habe. Die Dame stammt aus ärmlichen Verhältnissen, und Herr Geerkens brüstete sich laut Spiegel, die Vertragsdetails ausgehandelt zu haben, so daß es bis jetzt mehr Fragen als Antworten gibt.

In Hannover muß es eine tiefe Verquickung von Wirtschaft und Politik, von Maschmeyer und anderen zu Schröder von der SPD bis zu Wulff von der CDU gegeben haben. Die Berliner Zeitung schrieb vom „Fluch der Provinz“, der Wulff jetzt einhole. Aus alten Freunden würden lästige Bekannte, urteilte das Handelsblatt. Kürzlich gab es Hausdurchsuchungen wegen der Wahlkampffinanzierung zu Wulffs Amtszeiten. Vom Problem der „Affären aus alten Zeiten“ schrieb die Neue Zürcher Zeitung schon vor über einem Jahr, und wie zum Beweis kam jetzt heraus, daß Maschmeyer Anzeigen für ein Wulff-Buch bezahlte. Der wußte – angeblich – nichts davon.

In Bayern waren zu Zeiten eines Ministerpräsidenten Max Streibl die Dinge ähnlich aus dem Ruder gelaufen. Die „Amigo-Affäre“ kostete Streibl das Amt. Warum sollen für Wulff nicht mindestens gleiche Maßstäbe gelten wie für einen Landespolitiker? Als Präsident Johannes Rau sich 2010 in eine Affäre um Flugreisen verstrickte, kritisierte Wulff, der später auch ein Problem mit einem kostenlosen „Upgrade“ bei Air Berlin haben sollte: „Ich leide physisch darunter, daß wir keinen unbefangenen Bundespräsidenten haben.“ Und heute?

Wulff „wird keine Zeit mehr haben, die moralische Instanz der Bundesrepublik Deutschland zu geben, sondern nur noch mit Selbstverteidigung beschäftigt sein“, befand die Financial Times. Der Staatsrechtler Ulrich Battis warf Wulff „gezirkelte Antworten“ in der Affäre vor. Integrität und Glaubwürdigkeit gewinne er so nicht: „Sein Hauptproblem wird jetzt sein, eine Weihnachtsansprache auf die Reihe zu bekommen, die nicht peinlich wirkt.“ Integrität und Glaubwürdigkeit sind die einzigen Instrumente, die ein deutscher Präsident hat. Ohne sie wird er zum Spielball der Interessen der Parteien. Aus der SPD heißt es, man wolle „lieber einen schwachen Wulff als einen starken Lammert“. Präsidentenamt und Staat haben bereits gelitten. Wulff versucht sich über das bisher alle Affären auslöschende Weihnachtsfest zu retten. Er muß sich fragen, ob er sich dann zwar selbst gehalten, aber dem Amt Schaden zugefügt und damit dem Niedergang des Gemeinwesens mehr Tempo verliehen hat.

„Wer anderen eine Grube gräbt, sollte auf festem Grund stehen“, kritisierte die FAZ Wulff, der „mit ungewöhnlich großer Schaufel dafür sorgen wollte, daß der politische Störenfried Sarrazin verschwindet“, und legte ihm nahe, das Ende zu bedenken. Es dürfte für Wulff ein Stück näher gerückt sein.

 

Wulffs Freund

Von wem bekam Christian Wulff 2008 den Privatkredit über 500.000 Euro? Seine Anwälte betonen, das Geld stamme von Edith Geerkens. Im Spiegel hatte der 67jährige Ex-Unternehmer Egon Geerkens allerdings eingeräumt, er selbst habe die Verhandlungen geführt und sich auch überlegt, „wie das Geschäft abgewickelt werden könnte“. Am Dienstag jedoch gab der inzwischen eingeschaltete Anwalt der Geerkens der Presse bekannt, „daß die Kreditinitiative und Gewährung ausschließlich durch Frau Geerkens erfolgte“. Und zwar „nachdem Herr Egon Geerkens ihr von dem beabsichtigten Hauskauf durch die Eheleute Wulff erzählt hatte“. Die Auszahlung sei „in Form eines Schecks der Deutschen Bundesbank vom Konto von Frau Edith Geerkens bei der Sparkasse Osnabrück“ vorgenommen worden. Von einer Geschäftsbeziehung mit Wulff könne keine Rede sein, teilt die Anwaltskanzlei mit, da sich Egon
Geerkens, der den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten 2008 und 2009 auf Auslandsreisen begleitet hatte, bereits seit 2004 nicht mehr gewerblich tätig war, „da er sich krankheitsbedingt ins Privatleben zurückgezogen hatte“. Laut Spiegel hatte Frau Geerkens jedoch „kein nennenswertes eigenes Vermögen“.

Anders ihr Mann. Sein Vermögen machte der Elektriker und zeitweilige Inhaber des Juwelier-Geschäfts „Gudemann“ vor allem mit Immobilien. Geerkens, in Osnabrück unter seinem Spitznamen „Bubi“ stadtbekannt, hatte die Nase vorn, wenn die Stadt neue Bebauungspläne machte. Ein Insider: „Zufällig gehörten die Grundstücke dann immer schon Bubi Geerkens ...“ Hatte Geerkens „Spezis“ in der Verwaltung oder im Rat der Stadt, dem auch der junge CDU-Politiker Christian Wulff seit 1986 (bis 2001) angehörte? Belastbare Informationen gibt es nicht, nur Gerüchte; auch seien entsprechende Anschuldigungen gegen Geerkens nicht vorgebracht worden. Ist die Beziehung des „väterlichen Freundes“ Geerkens zu Wulff also ganz ohne Hintergedanken? „Es wäre verwunderlich, wenn Bubi Geerkens etwas selbstlos gemacht hätte“, heißt es in „für gewöhnlich gut informierten Kreisen“.

 

Wulffs Revier

30. Juni 2010

Wulff wird im dritten Wahlgang zum Bundespräsidenten gewählt.

Juli 2010

Wulff wird dafür kritisiert, seinen Urlaub in der Villa von AWD-Gründer Carsten Maschmeyer verbracht zu haben.

1. September 2010

Wulff rät der Bundesbank, Sarrazins Entlassung zu beantragen.

3. Oktober 2010

Wulff betont in seiner Rede zum Jahrestag der Wiedervereinigung, auch der Präsident der Muslime in Deutschland zu sein. Der Islam gehöre inzwischen auch zu Deutschland.

19. Oktober 2010

Wulff lobt bei seinem Staatsbesuch in Ankara den Beitrag türkischer Einwanderer für die deutsche Wirtschaft. Die Einwanderer hätten Deutschland „vielfältiger, offener und der Welt zugewandter“ gemacht.

17. November 2010

Wulff plädiert dafür, Polnisch in möglichst vielen Bundesländern als Unterrichtssprache anzubieten. Dadurch solle das „Gewicht der polnischen Kultur sowie des Nachbarlandes Polen insgesamt in der deutschen Öffentlichkeit gestärkt“ werden.

29. November 2010

Bei seinem Staatsbesuch in Israel betont Wulff, die Verbrechen der Nationalsozialisten seien „Deutschland und den Deutschen dauernde Verpflichtung, für das Existenzrecht Israels einzutreten“. Um diese generationenübergreifende Verantwortung zu verdeutlichen, hat er seine Tochter auf die Reise mitgenommen.

9. Dezember 2010

Wulff ruft zur Extremismusbekämpfung im Kindergarten auf: „Wir müssen den Extremismus wirkungsvoller bekämpfen, zum Beispiel in Kindergärten und Gemeinden“, sagt er bei einem Besuch in Mecklenburg-Vorpommern.

30. August 2011

Wulff dankt Muslimen: Beim gemeinsamen Fastenbrechen in Berlin lobte er vor allem den Mut und die Menschlichkeit, mit der diese sich in Deutschland einbrächten. „Viele Muslime tun das immer wieder aufs neue und fördern damit auch den Zusammenhalt in Deutschland.“

13. Dezember 2011

Wulff gerät wegen eines privaten Kredits in die Schlagzeilen.

Foto: Standarte des Bundespräsidenten, Sponsoren: Vorbildfunktion verletzt

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