© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Der Flaneur
Geräusche im Nebelmeer
Felix Springer

Über den Fluß hat sich dichter Nebel gelegt. Mancher Passant, der über die alte, steinerne Brücke geht, blickt suchend am bröckeligen Geländer vorbei hinunter in den Dunst, aber der Strom rauscht heute unsichtbar durch die Stadt. Nur in der wild verwachsenen Böschung, ganz nah am Ufer, also dort, wo man schon nasse Füße riskiert, sind Höhe, Geschwindigkeit und Verlauf des Wassers noch für das bloße Auge wahrnehmbar. Und auch aus dieser Position ist nur jeweils ein schmaler, grau fließender Streifen zu sehen – ganz hinüber schaut keiner.

Ich biege ein in den schmalen Waldweg, der mich heute heimführt. Auch er ist nur schemenhaft zu erkennen, um so lauter knirscht unter jedem Schritt der Sand. Ich trage keine Uhr bei mir und kann nicht sagen, wieviel Zeit es noch brauchen wird, bis die aufgehende Sonne den Nebel zu frischem Tau macht.

Die Vögel sind jedenfalls schon wach, aber die Zeit ihrer fröhlichen Balzgesänge ist vorerst vorbei. Die Enten, statt stumm im Fluß zu futtern, schnattern durcheinander und tapsen verwirrt umher. Sie watscheln so unbedacht quer, daß ich aufpassen muß, keine von ihnen mit einem unachtsamen oder unwirschen Tritt aus der Welt zu befördern. Aus ungefähren Richtungen höre ich auch Krähen schreien, aber die graue Hülle verbirgt sie meiner Sicht.

Anders die Raben: Diese klugen Tiere haben sich zu einigen Dutzend auf zwei mächtigen Bäumen (unmöglich zu sehen, welcher Art) versammelt, und während einige von ihnen wartend und ruhend den Kopf in das Gefieder stecken, hören die anderen auf das Rauschen des Stroms. Argwöhnisch gebannt verfolgen sie das Treiben der Umgebung, auch meine Schritte entgehen ihnen nicht. In der Sommersonne schrien hier noch Möwen und Gänse am lautesten, von denen ist jetzt, da es kalt geworden ist, aber nichts mehr zu sehen.

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