© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Öfter mal nach Kirkenes und Murmansk
Politische Defi zite der deutschen Arktisforschung / Kritik am fehlenden Engagement der Bundeskanzlerin
Christoph Keller

Seit Jahrzehnten ist die deutsche Polarforschung international führend. Vor allem das Alfred-Wegener-Institut (AWI) klärt in den Polregionen Prozesse des Klimawandels auf, erforscht geologische Strukturen und Meeresströmungen. Diese geowissenschaftliche Kärrnerarbeit verschaffte Deutschland den Ruf als „Arctic Player“.

Leider, so klagt die emeritierte Berliner Politologin Helga Haftendorn, trage diese Spitzenstellung zu wenige ökonomische und ökologische Früchte, obwohl die Deutschen, aufgrund ihres Rohstoffbedarfs wie ihres Anspruchs auf die globale Vorreiterrolle beim Umweltschutz, gewichtige Interessen in der Arktis geltenmachen können (Internationale Politik, 7-8/11). Haftendorn sieht darin ein Versagen der Planungsstäbe des Auswärtigen Amtes, das aus der Geoforschung keine „systematische Arktis-Strategie“ ableite, die Chancen und Risiken des Klimawandels am Nordpol aufzeige.

Dabei eröffne die geowissenschaftlich frühzeitig diagnostizierte Veränderung arktischer Umweltbedingungen der deutschen Wirtschaft viele neue Möglichkeiten. Ein kohärentes deutsches Arktis-Konzept könnte sich auf die Erschließung der Rohstoffe (Öl, Gas, seltene Metalle), die Nutzung neuer eisfreier Schiffahrtsrouten und die Absicherung ökologisch nachhaltiger Ressourcenausbeutung konzentrieren. Haupthindernis ist dabei der nationale Egoismus der Anrainerstaaten Rußland, USA, Kanada, Norwegen und Dänemark/Grönland. Schon die Grundlagenforschung werde insbesondere durch Rußland, das an allen Expeditionen beteiligt sein möchte, restriktivsten Bedingungen unterworfen.

Ein internationales Regime der Arktis nach dem Vorbild des Antarktis-Vertrages von 1961, wie es die EU im Namen des Klima- und Umweltschutzes anstrebt, ist gegen den Widerstand der Anrainer nicht durchsetzbar. Der von ihnen 1996 gegründete „Arktische Rat“ gewährt Deutschland nur Beobachterstatus. Auch wenn es die von Haftendorn geforderte strategische „Verzahnung“ der deutschen Forschungs-, Rohstoff-, Schiffahrts-, Sicherheits- und Umweltinteressen in der Arktis gäbe, bliebe dort der Berliner Einfluß also eher gering – wie die Berliner Außenpolitik­expertin auch einräumt.

Als hilfreiches letztes Mittel wirksamer Interessenpolitik im „Hohen Norden“ empfiehlt sie daher ein kraftvolleres öffentliches Engagement der Bundeskanzlerin, die sich nicht nur in der Osloer Oper, sondern öfter auch einmal in Kirkenes und Murmansk zeigen sollte.

Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven: www.awi.de

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