© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Staatsfeminismus auf dem Vormarsch
Gleich und Gleicher
von Gerd Habermann

Der liberale Feminismus hatte keine Mühe mit den evidenten natürlichen und kulturellen Unterschieden zwischen den Geschlechtern. Namentlich die geschlechtliche Arbeitsteilung hat weitreichende Konsequenzen, die indessen einer Gleichberechtigung nicht im Wege stehen. Man muß ja nicht aus dem spezifischen Vermögen und Vorteil der Frau eine besondere Behinderung machen! Ein Ethologe wie Desmond Morris hat diese Unterschiede zusammengestellt: von der weit geringeren Muskelbildung, der etwas anderen Architektur ihres Körpers einerseits bis zu ihrer überlegenen Sprachbegabung und dem größeren Einfühlungsvermögen auf der anderen Seite.

Das liberale Programm ist heute weitgehend durchgesetzt. Aber auf die liberale folgte die sozialistische Frauenbewegung, die nicht nur eine Gleichberechtigung mit dem Mann verlangte, sondern die faktische Gleichheit nach einem idealisierten und normierten Bild des Mannes. Im sogenannten Gender Mainstreaming wird die sozialistische Umweltlehre auf die Spitze getrieben: Es gibt keine natürliche Determination der Geschlechterrolle, das heißt, sie ist kulturell beliebig formbar. Daraus wird dann ein krudes Programm der Egalisierung durch den Staat – der reine „Konstruktivismus“, welcher mit dem Liberalismus nichts gemein hat und darum der Zwangsmittel nicht entsagen kann.

Das übersteigerte Gleichheitsdenken fällt den meisten kaum mehr auf. Es ist zum Normalfall geworden, an den wir uns gewöhnt haben. Wenn wir noch Restzweifel nähren, so hilft uns die Rhetorik der politischen Korrektheit, es vor uns und anderen zu rechtfertigen.

Ein besonders virulenter Ausfluß dieses Gleichheitsdenkens ist der „Staatsfeminismus“ mit dazugehöriger „Frauenpolitik“. Unter Verabsolutierung bestimmter Lebens- und Entscheidungsmuster sollen sich Frauen in wichtigen privaten Lebensentscheidungen an einem vorgegebenen Einheitsmodell orientieren, das ausgerechnet aus dem Bild des erwerbstätigen Normalmannes abgeleitet ist. Über Frauenquoten in staatlichen und privaten Leitungsgremien wird diese Entwicklung politisch forciert. Im striktesten Fall werden Frauen sogar prinzipiell bevorzugt behandelt, bis die angestrebte Frauenquote von – am liebsten – 50 Prozent im entsprechenden Gremium erreicht ist. Als besonders fortschrittlich gilt Norwegen, wo nicht nur im Bereich des Staates, sondern auch in allen Verwaltungsräten der 600 börsennotierten Unternehmen 40 Prozent für Frauen gesetzlich reserviert sind. In Deutschland ist bisher als einziges DAX-Unternehmen die Telekom vorgeprescht, mit vorgeschriebenen Frauenquoten von 30 Prozent im Führungspersonal, weitere 30 sollen folgen. Es dürfte kein Zufall sein, daß es sich bei der Telekom um ein einst staatliches und heute dem Staat nahestehendes Unternehmen handelt (der deutsche Staat ist der größte Telekom-Aktionär).

Noch radikalere Frauenpolitiker möchten auch die überkommene geschlechtsspezifische Berufswahl zugunsten von Gleichheit verändern: Also 50 Prozent Frauenanteil auch bei den Schlossern, Bergarbeitern, Polizisten, Ingenieuren, Müllmännern. Konsequenterweise müßten sie auch für entsprechende Männerquoten in bisher weiblich beherrschten Berufsbereichen votieren. Dessen ungeachtet kann den Vertretern eines „Gender Mainstreaming“ die Leugnung der Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau nicht weit genug gehen. Sie lassen nicht mit sich reden: Unterschiede können per definitionem ausschließlich auf kulturellen Konventionen beruhen, sind also beliebig „machbar“. Man wird nicht als Mann oder Frau geboren, sondern sozial und kulturell erst dazu geformt, hat also die „freie Wahl“ über sein Geschlecht.

Hinter diesem staatlich sanktionierten Feminismus steckt paradoxerweise letztlich eine Spielart des Egalitarismus, der männliche Maßstäbe und Werte verabsolutiert. Soweit Frauen nicht männlichen Entscheidungs- und Erfolgsmustern folgen, werden sie als „rückständig“ hingestellt, isoliert und finanziell benachteiligt. Besonders hinderlich für die Entfaltung der Frau ist dieser Ansicht zufolge ihre häufige Orientierung an der Familie.

Es ist ein altes Dogma sozialistischer Frauen- und Familienpolitik, die Frau von der „Versklavung“ durch Haushalt und Familie zu befreien. Dies soll durch die Abschaffung der bürgerlichen Familie und ihren Ersatz durch staatliche Betreuungseinrichtungen und durch die Ersetzung des privaten Haushaltes durch Kollektivunterbringung und Kollektivspeisung geschehen.

Seit langem verwirklicht ist in westlichen Gesellschaften die Gleichberechtigung: Es gibt keine Ungleichheiten vor dem Gesetz, der Staat ist unparteiisch und behandelt jedermann ohne Rücksicht auf das Geschlecht. Im Falle der Gleichstellung wird ein bestimmtes Entscheidungs- und Rollenmuster politisch-propagandistisch überhöht, finanziell gefördert und schließlich mit Zwangsmitteln durchgesetzt. Damit wird die Neutralität des Staates gegenüber der Privatsphäre aufgegeben, werden also bestimmte Lebensweisen „diskriminiert“.

Wie beispielsweise die Arbeit eines Ehepaars in der Familie aufgeteilt wird, geht den Staat nichts an. Auch wird von Staats wegen seit langem gegen angeblich ungleiche Bezahlung von Mann und Frau polemisiert, so als ob die männerbeherrschten Unternehmen sich zusammentäten, um den Frauen ihren „gerechten Lohn“ vorzuenthalten. In Wirklichkeit entspricht diese Ungleichheit der Ungleichheit der Erwerbsbiographien. Sie hat im allgemeinen nichts mit willkürlicher „Diskriminierung“ zu tun, sondern ist Ausdruck realer Kostenverhältnisse.

Das egalitäre Denken geht einher mit einer allgemeinen „Antidiskriminierungspolitik“, die nicht nur leugnet, daß es wünschenswerte Unterschiede zwischen Menschen gibt. Sie leugnet auch, daß jemand Vorlieben haben darf für diese Unterschiede, beispielsweise bei der Einstellung von Mitarbeitern, bei der Vermietung von Privatwohnungen oder beim Abschluß von Kaufverträgen. So interessiert sich unser Staat dafür, ob ich lieber mit Frauen oder Männern, mit Katholiken oder Protestanten, mit Ausländern oder Inländern, mit Kommunisten oder Liberalen, mit Hetero- oder Homosexuellen, mit Alten oder mit Jungen zusammenarbeiten möchte und schafft so eine Art Verbrüderungszwang mit den angeblich jeweils benachteiligten Gruppen.

Seit einigen Jahren wird sogar das Ausschreibungsverhalten staatlich überwacht – von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Bewerbungen sollen keinen Hinweis mehr auf das gewünschte Alter, das Geschlecht oder sonstige persönliche Merkmale enthalten dürfen.

Erklärtes Ziel ist es, Arbeitnehmer nicht länger nach persönlichen Eigenschaften, sondern nach angeblich objektiven „technischen“ Kriterien auszulesen. Das konkrete Individuum wird auf einen anonymen Leistungserbringer reduziert – eine entindividualisierte, reproduzierbare Nummer, darum gibt es im Idealfall bei Bewerbungen auch kein persönliches Foto mehr.

Bleibt die Frage: Was geht es einen freiheitlichen Staat an, für welche Lebensmuster ich mich entscheide, oder mit wem ich zusammenarbeite, an wen ich mein Haus vermiete oder nicht vermiete? Hier beginnt der engere Bereich des Privaten. Der Auftrag des Staates besteht in der Sicherung der Freiheit. Wie die Freiheit inhaltlich genutzt wird, muß ihm gleichgültig sein. Wo er diese Grenze überschreitet und Lebens- und Entscheidungsmuster zwangsweise formen will, mißbraucht er seinen Auftrag und wird zum Tyrannen. Es geht ihn eben nichts an, auf welches Muster der Arbeitsteilung sich ein Ehepaar einigt, und es geht ihn erst recht nichts an, ob ich mich dafür entscheide, meine Wohnung nur an Ausländer oder Inländer, nur an Frauen oder Männer, nur an „Homos“ oder „Heteros“ zu vermieten.

Es wäre ein zwar konsequenter, wenn auch leicht komischer nächster Schritt der Antidiskriminierungspolitik, jede Bevorzugung als „Diskriminierung“ zu brandmarken. So würde jedermann, der nach klaren Präferenzen eine Frau heiratet, alle anderen Frauen „diskriminieren“, die diesen nicht entsprechen: also beispielsweise die Blondinen gegenüber den Brünetten, die Akademikerinnen gegenüber den Nichtakademikerinnen, die Kleineren gegenüber den Größeren.

Aber so weit geht es vorläufig nicht. Es gibt sogar einige anerkannte Ausnahmen, so etwa hinsichtlich behinderter oder älterer Personen in der Bundeswehr. Die Absurdität einer Anwendung der bestehenden Antidiskriminierungsgesetze ist hier selbst für Gleichheitsideologen allzu offensichtlich. Dennoch sind Sonderöffnungszeiten für Frauen in Schwimmbädern oder Saunabetrieben oder Schutzzonen wie im Falle der Frauenparkplätze – trotz offensichtlicher Inkonsequenz – weiterhin zugelassen. Ebenso ist man weiterhin ermächtigt, in der Kaufhausabteilung für Damenunterwäsche ausschließlich Damen zu beschäftigen.

Treibt man die Idee der Diskriminierung auf die Spitze, führt sie sich selbst ad absurdum. Es ist deshalb sinnvoll, klar zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre zu unterscheiden. Wer ein bestimmtes Restaurant besucht, weil er dessen Essen besonders mag, diskriminiert nicht alle anderen Restaurants – er trifft einfach eine Entscheidung aufgrund seiner persönlichen Vorlieben. Wer jemanden einstellt, weil dessen Charakter ihm zusagt, diskriminiert ebenfalls niemanden – er trifft eine Entscheidung aufgrund seiner geschäftlichen Interessen und Vorlieben. Der Ausdruck „Diskriminierung“ paßt nur in die öffentlich-rechtliche Sphäre – als Verbot rechtlicher Ungleichbehandlung durch den Staat.

Dieses Verbot ist ein Garant der Freiheit für Individuen, die in einem Staat leben und ihm also unterworfen sind. Die staatliche Gleichmachungspolitik hingegen ist der Gang in die Tyrannei. Der Gleichheitsgrundsatz wird verletzt, weil eine einseitige Bevorzugung nur aufgrund eines sexuellen Merkmals erfolgt. Das Demokratieprinzip wird verletzt, weil öffentliche Wahlämter nur nach Geschlecht vergeben werden. Auch die Vertragsfreiheit wird verletzt, da es nicht mehr erlaubt ist, nach eigenen Präferenzen Verträge abzuschließen. Die politisch Begünstigten werden durch diese Bevorzugung gedemütigt. Sie werden nicht aufgrund ihrer Qualifikation, sondern aufgrund geschlechtlicher oder sonstiger Merkmale ausgewählt, wie die bekannten Quoten- und Alibifrauen.

Erstaunlich ist, daß sich bisher kaum Widerstand gegen diese freiheitsfeindliche Gleichmachungspolitik regt, auch nicht unter den „Alphamännchen“. Alle Parteien, die liberale eingeschlossen, machen beim Wettlauf zum geschlechts- und individualitätslosen Standardmenschen mit der Standardlaufbahn mit. Man hört allenfalls das schwächliche Verlegenheitsargument, daß diese „Antidiskriminierungspolitik“ Kosten und Bürokratie verursache. Mit Recht wird darauf entgegnet, die wünschenswerte Gleichheit müsse uns diese Opfer und Prozeduren wert sein.

 

Prof. Dr. Gerd Habermann, Jahrgang 1945, ist Vorsitzender der Friedrich-August- von-Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft. Zuletzt schrieb er auf dem Forum über Freiheit im Schulwesen („Bildung als Staatsmonopol“, JF 31-32/10).

Gerd Habermann: Freiheit oder Knechtschaft? Ein Handlexikon für liberale Streiter, Olzog Verlag, München 2011, 256 Seiten, gebunden, 26,90 Euro. Das Lexikon soll die Freunde der Freiheit gegen Etatismus und Egalitarismus aufmunitionieren.

Foto: Das Geschlecht als soziales Konstrukt: Der Staat hat radikalfeministischen Ideologien Gesetzes-rang verliehen

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