© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

An jenem Tag, da du mir Treue versprochen
Zwischen Weber und Wagner: Zum Gedächtnis des wenig gespielten großen Komponisten und Kapellmeisters Heinrich Marschner
Wiebke Dethlefs

Er galt einst, in der Epoche zwischen Weber und Wagner, als der bedeutendste Meister der deutschen romantischen Oper, wurde von den Zeitgenossen sehr geachtet. Doch als Heinrich Marschner am 16. Dezember 1861 im Alter von 66 Jahren starb, hatte er sich längst überlebt. Dabei hatte ihn 1830 die Oper „Der Vampyr“ europaweit berühmt gemacht und mit „Hans Heiling“ (1833) festigte er seinen Ruf als bedeutendster lebender deutscher Opernkomponist.

Der 1795 in Zittau geborene Marsch-ner studierte nach 1813 zunächst Jura, entschied sich aber bald für die Musik. Schon 1817 erhielt er eine Stelle als Musiklehrer bei einem ungarischen Magnaten in Preßburg. Hier komponierte er die Oper „Heinrich IV. und d’Aubigny“, die Carl Maria von Weber 1820 in Dresden uraufführte. Weber sah in Marschner, der einen Aufruf zur Schaffung einer von ausländischen Einflüssen freien deutschen Oper schrieb, einen Bundesgenossen in seinem Kampf um die Festigung der deutschen Oper und unterstützte ihn nach Möglichkeit, wenngleich er von seinen kompositorischen Fertigkeiten nicht viel hielt. Gegen Webers Willen wurde Marschner 1824 Musikdirektor an der Dresdner Hofoper. 1828 ging er ans Leipziger Stadttheater und wurde 1831 Hofkapellmeister in Hannover, wo er bis zu seinem Tod bleiben sollte.

Wenngleich er zu Lebzeiten große Wertschätzung genoß, verblaßte sein Stern nach 1840 mit dem Aufstieg Wagners sehr schnell. Gut zwanzig Opern und Schauspielmusiken hat Marschner neben etwas Kammermusik und einigen Liedern und Männerchören hinterlassen. Die Opern behandeln Sujets aus der deutschen Geschichte (Kaiser Adolf von Nassau), aus der Weltliteratur („Der Vampyr“, nach Byron; „Der Templer und die Jüdin“, nach Walter Scott) und spielen manchmal an exotisch-orientalische Handlungsorten („Der Bäbu“). Doch schon um 1840 begann sein Stern schnell zu sinken: Letzlich wurde schon den Zeitgenossen klar, daß Marschners Kunst schnell an ihre Grenzen gelangt war, Grenzen, die um so störender zutage traten, wenn man die Werke Wagners, ja selbst Meyerbeers, die zwischen 1840 und 1860 entstanden, denen Marschners an die Seite stellt.

Daß von seinen Werken letzlich kaum noch etwas gespielt wird, woran auch Pfitzners Versuch einer sanften Neubearbeitung des „Vampyrs“ nichts zu ändern vermochte, liegt hauptsächlich an Marschners wenig charakteristischer Tonsprache, an seiner konventionellen Melodik. Keines seiner Themen hat die Prägnanz, im Gedächtnis haften zu bleiben. Nirgendwo findet man jenen großartigen melodischen Schwung, der beispielsweise Webers Werke und den frühen Wagner so kennzeichnet.

Wo Weber und Wagner rhythmisch große Gesten entwickeln, bleibt er mechanisch, ja „behaglich“. Marschners Harmonik gelingt es keineswegs, die von Weber erreichte Differenzierung, wie sie besonders im Dämonischen so unverzichtbar ist, fortzuführen, ja er fällt fast immer hinter Weber zurück – in die unverbindliche Diktion der musikalischen Frühromantik eines E.T.A. Hoffmann.

Genauso ist es mit seiner Instrumentationskunst. Wo der Orchesterpraktiker Weber ganz neue Klangfarben zu erzeugen versteht, wo Wagner wie auch Meyerbeer (ja, auch der!) die Seele der Instrumente auszuloten verstehen, ist Marschner durchgehend einer dunkel-pastosen Instrumentation verhaftet. Zu lange blieb er der Nummernoper verschrieben, erst nach „Hans Heiling“ ging er zur durchkomponierten Form über. Aber auch hier erfolgte keine Entwicklung. Zu oft mißlingt es ihm, Wort und Ton aufeinander abzustimmen, meist spannt er es nur unverbindlich in die Melodie ein. Zu wenig ist er imstande, der Geisterwelt, die er in seinen Werken oft beschwört, einen adäquaten Ton zu verleihen. Zwischen 1820 und 1850 läßt sich bei ihm keine stilistische Entwicklung feststellen.Seine letzten Bühnenwerke „Austin“ (1852) und „Sangeskönig Hjarne und das Tyrfingschwert“ (1861) klingen wie ein früher Albert Lortzing.

Doch ganz einfach macht es unsMarschner in der Beurteilung auch wieder nicht: Seine Helden sind oft zerrissene „romantische“ Naturen, von Dämonen gepeinigt, gleichsam „modern“ zu nennen, keineswegs ist er ein Schilderer bieder-konventioneller Protagonisten. Er war fasziniert von psychologisch komplexen Handlungen und vertonte niemals ein dramaturgisch schlechtes Libretto, doch letzlich war er außerstande, die Strömungen der neuen Zeiten, um die er wußte, aufzunehmen und zu verarbeiten.

Marschner versuchte sich bisweilen in hochfliegenden Konzepten und nahm kurze, aber schnell versiegende musikrevolutionierende Anläufe. Im „Hans Heiling“ setzt er der Ouvertüre einen szenischen Prolog vor und nimmt ganz unbewußt im 2. Akt in der Ansprache der Königin den Tonfall von Siegmunds Todesverkündigung in der „Walküre“ vorweg, auch findet sich der Wagnersche Erlösungsgedanke in Marschners besten Schöpfungen vorweggenommen. So bleibt er eine tragische Erscheinung, deren Wollen an mangelndem Vermögen scheiterte.

 

Abseits der großen Bühnen

Der hundertfünfzigste Todestag Heinrich Marschners vergeht ohne eine nennenswerte Bühnenpräsenz. Nur die in der Verwaltung der sächsischen Kleinstadt Pirna stehenden Richard-Wagner-Stätten Graupa veranstalteten am 12. November ein Programm in der Reihe „Lebensbilder um Richard Wagner“. Die Sopranistin Cornelia Wosnitza vergegenwärtigte den Marschnerschen Genius durch Arien aus seinen Opern und zehn ebenfalls sehr dramatisch gestaltete Lieder. Begleitet wurde sie am Klavier durch Reinhard Schmiedel von der Weimarer Musikhochschule. Veranstaltungsort war eine Aula in der Alten Schule in Graupa, in der das Richard-Wagner-Museum bis zum Einzug in das Graupaer Jagdschloß im nächsten Herbst sein Interimsquartier innehat. Der kenntnisreiche Musikwissenschaftler Hans John kommentierte die Darbietungen und zeichnete ein dichtes Porträt von Heinrich Marschner. Den bezeichnenden Titel des Programms lieh man von einer Liedkomposition: „Der betrogene Teufel“.

Pünktlich zum Todestag Marschners hat das Musiktheater Lübeck dessen „Vampir“ in einer Fassung als „Fami-lienoper“ auf die Bühne gebracht. Die mobile Inszenierung ist auch für Schulen buchbar. (sh)

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen