© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Saddams schweres Erbe
Irak: Mit dem Abzug der Truppen hinterlassen die USA ein Land auf der Suche nach sich selbst
Raplh Schöllhammer

War der Krieg im Irak ein Erfolg? Vertraut man auf Umfragen in der westlichen Welt, so stellt der beginnende Abzug der US-Truppen nur den letzten Akt eines Krieges dar, welcher gemeinsam mit Afghanistan als Amerikas zweites Vietnam in die Geschichte eingehen wird. Sieben Jahre nach dem Einmarsch im Irak sehen sich die Bush-Kritiker, unter ihnen auch Barack Obama, in ihrer Einschätzung bestätigt: Die Demokratisierung des Nahen Ostens mit militärischen Mitteln war eine neokonservative Kopfgeburt, die im Desaster endete. Bereits während seines Wahlkampfes machte Obama klar, daß er den Krieg im Irak für den falschen Krieg hielt, während es sich in Afghanistan um den „guten Krieg“ handelte.

Um ein differenzierteres Bild zu erhalten, muß man andernorts nachfragen, und zwar bei den Irakern selbst. Eine seit 2004 jährlich durchgeführte Umfrage zeigt teilweise erstaunliche Ergebnisse: Fast 70 Prozent der Iraker sind der Meinung, daß sich ihr Leben seit der Invasion verbessert hat, und nahezu derselbe Prozentsatz erwartet sich eine weiter zunehmende Lebensqualität in den kommenden Jahren.

Besonders überraschend ist, daß sich diese positive Entwicklung nicht auf Kurden oder Schiiten beschränkt. Die Minderheit der Sunniten, welche mit dem Sturz Saddam Husseins den größten Machtverlust hinnehmen mußte, bekennt sich in zunehmendem Maße zur aktuellen irakischen Regierung. Vertrauten im März 2007 gerade einmal drei Prozent der Sunniten der Regierung des schiitischen Premiers Nuri al-Maliki, so hat sich dieser Wert innerhalb von zwei Jahren verzehnfacht. Selbst die Sorge, daß der Irak auseinanderbrechen oder im Bürgerkrieg versinken könnte, wird von einem Großteil der Iraker verneint.

Bedeutet dies, daß die neokonservativen Falken um George W. Bush am Ende doch recht behalten haben? Wohl kaum, trotz ihres Bekenntnisses zur neugewonnenen Demokratie lehnt mehr als die Hälfte der irakischen Bevölkerung den Einmarsch vor sieben Jahren weiterhin ab und unterstützt den frühestmöglichen Abzug der Koalitionstruppen.

Das Drängen der Iraker, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, könnte sich jedoch als verfrüht erweisen. Auch wenn die Zahl der Terroranschläge seit 2007 kontinuierlich gefallen ist, so bleibt der Friede im Irak äußerst brüchig. Dabei geht es nicht nur um den Streit ums Öl im kurdisch geprägten Nordirak.

Scheich Ahmed Abu Risha, eine der federführenden Figuren hinter dem Aufstand der Sunniten gegen die radikalen Islamisten der al-Qaida, wurde dieses Jahr bereits zum Ziel mehrerer Attentatsversuche. Auch die Lage der irakischen Christen bleibt weiterhin katastrophal, und selbst die Ablehnung eines islamistischen Gottesstaates konnte den erzwungenen Exodus der christlichen Minderheit nicht verhindern.

Mit dem vorsichtigen Optimismus könnte es bald wieder vorbei sein, sollte der Abzug der westlichen Truppen zu einer erneuten Eskalation der Gewalt führen. Dies ist um so wahrscheinlicher, da Präsident Obama es versäumt hat, mit der irakischen Regierung ein Stationierungsabkommen für US-Truppen abzubeschließen.

Mit dem 31. Dezember wird die US-Militärpräsenz im Irak zu Ende gehen – und damit vermutlich auch der verbliebene strategische Einfluß der Vereinigten Staaten in der Region. Obwohl nach außen hin alle politischen Fraktionen im Irak den Abzug begrüßen, hoffte die irakische Regierung laut Ali Hussein al-Tamimi, einem Mitglied der Regierungskoalition, dennoch auf den Verbleib eines starken US-Kontingents.

Tatsächlich war die irakische Führung in die Enge gedrängt: Einerseits zeigte die US-Regierung kein wirkliches Interesse, weiterhin für die Sicherheit im Irak verantwortlich zu sein. Andererseits drohte der dem Iran nahestehende Schiiten-Führer Muqtada al-Sadr mit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch seine „Mahdi-Armee“, sollten die USA im Land bleiben.

Und nicht nur in dieser Hinsicht zählt der Iran zu den großen Gewinnern der irakischen Demokratie. Entgegen der oftmals beschworenen Unvereinbarkeit zwischen Schiiten und Sunniten balanciert der Iran geschickt ethnisch und religiös motivierte Politik. Die zentralistischen anti-iranischen Regime im Irak und Afghanistan führten zu einer geopolitischen Isolierung Teherans. Die durch die Demokratisierung beider Staaten hergestellte föderalistische Struktur erlaubt Iran sowohl in den persischen Provinzen Afghanistans als auch in der schiitischen Mehrheit des Irak seinen Einfluß geltend zu machen. Selbst die wirtschaftliche Situation könnte sich verbessern: Die wirtschaftlichen Hauptakteure im Irak stammen aus China und Rußland, zwei Staaten welche in der Vergangenheit nur zögerlich den von den USA und der EU geforderten Sanktionen aufgrund des iranischen Atomprogramms zustimmten.

In den letzten beiden Jahren offenbarte sich das Paradoxon der amerikanischen Irakpolitik in vollem Ausmaß: Hat sich das Vertrauen in die Demokratiefähigkeit der Araber als durchaus begründet erwiesen, so wurden die tatsächlichen Konsequenzen derselben maßlos überschätzt. Die Leitmaxime der neokonservativen Politik im Nahen Osten bestand im wesentlichen in der Annahme, daß eine demokratische Regierungsform zwangsläufig zu einer dauerhaften Annäherung an den Westen führt. Wie sich jetzt jedoch herausstellte, führte die neugewonnene Freiheit zu-allererst zu einer Verfestigung jener religiösen und ethnischen Stammesstrukturen, welche von Saddam Hussein über Jahrzehnte unterdrückt worden sind.

Auch die den USA am treuesten verbundenen Kurden haben Teheran auf der Karte, ungeachtet der Spannungen zwischen der iranischen Zentralregierung und den zwölf Millionen im Iran lebenden Kurden. Bei seinem Staatsbesuch in Teheran Ende Oktober machte der Präsident der autonomen Region Kurdistan, Massud Barzani, unmißverständlich klar, daß es ohne den Iran keine friedliche Lösung im Irak geben könne.

Derweil diskutieren die USA ihr Engagement. Hatte die Regierung Bush noch eine dauerhafte Truppenstationierung im Irak beabsichtigt, gab die folgende Regierung unter Präsident Obama innenpolitischen Bedenken den Vorzug. Der amerikanische Generalstab empfahl eine Truppenstärke von circa 20.000 Mann, welche in enger Zusammenarbeit mit Bagdad die Unabhängigkeit und Stabilität des Landes gewährleisten sollte. Mit dem beschlossenen kompletten Abzug wurde diese Möglichkeit mehr oder weniger ad acta gelegt.

Getrieben von einer eskalierenden Schuldenkrise und der zunehmenden Ablehnung des Engagements im Irak durch die Öffentlichkeit, orientieren sich die USA zunehmend entlang einer neoisolationistischen Politik. Sowohl Obama als auch seine Herausforderer 2012 lehnen weitere Abenteuer in der islamischen Welt ab, und selbst die bescheidene US-Beteiligung im Libyen-Konflikt wurde von den Republikanern heftig kritisiert.

Kein Wunder. Denn die Bilanz des Irak-Krieges bleibt mehr als gemischt. Laut dem Brookings Institut, einem Washingtoner Think Tank, sind 4.486 US-Soldaten und über 115.000 irakische Zivilisten getötet worden. Und auch die finanziellen Kosten werden für die angeschlagene Supermacht zum Problem: Mehr als 800 Milliarden Dollar wurden bisher vom Kongreß bewilligt, Geld, das viele Amerikaner lieber in Baltimore als in Bagdad investiert sehen würden.

Dessen ungeachtet wollen die USA zur Sicherung ihrer Stabilitätsinteressen die Militärstützpunkte in Kuwait und Bahrain aufstocken sowie ihre Botschaft in Bagdad – mit 16.000 Personen die größte US-Botschaft weltweit – weiterführen. Sicher ist sicher.

Foto: US-Soldaten verlassen den Irak : Viele Amerikaner hätten die Milliarden lieber im eigenen Land investiert

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