© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  51/11 / 16. Dezember 2011

Geschäftsidee Schleuserbande
Zuwanderung: Zwei wichtige Prozesse zeigen, wie einfach es Illegalen mitunter gemacht wird / EuGH-Urteil könnte die Tore weiter aufmachen
Ronald Gläser

Hoa N. wollte ins westliche Ausland, da hörte sie von der Möglichkeit, nach Deutschland zu gehen. Offiziell würde sie als Au-pair-Mädchen einreisen. Gegen Zahlung von 10.000 Euro würden „Freunde“ in Deutschland dafür sorgen, daß Hoa legal einreisen und sich hinterher ungehindert dort aufhalten darf. So wurde es ihr versichert.

Eine Geschichte, die sich so oder so ähnlich tausendfach jährlich abspielt – und ein Paradebeispiel für illegale Formen der Einwanderung in die EU ist. Im Jahr 2011 – soviel steht jetzt bereits fest – verzeichnen die Behörden einen erheblichen Anstieg der illegalen Zuwanderung. Laut der europäischen Grenzschutzagentur Frontex wurden nicht zuletzt ausgelöst durch die Massenflucht während des „arabischen Frühlings“ in den ersten neun Monaten 113.000 illegale Einwanderer registriert, dies entsprach einem Zuwachs von 46 Prozent. Die Internationale Organisation für Migration und die EU-Kommission rechnen gar mit einer Dunkelziffer von etwa 300.000 bis 500.000 illegalen Einwanderern pro Jahr.

Die meisten denken bei illegaler Einwanderung an mit Schwarzafrikanern vollgestopfte Nußschalen, die versuchen das Mittelmeer Richtung Italien zu überqueren – so wie jenes Schiff, das libysche Behörden in der vergangenen Woche mit 500 Einwanderern an Bord gestoppt haben. Aber sehr oft gelangen illegale Zuwanderer auch trockenen Fußes nach Deutschland. Neben der Überfahrt über das Meer in die südlichen EU-Staaten gehören der Landweg über die Türkei oder Osteuropa zu den bevorzugten Strecken für Schleuserbanden. Manchmal im Lastwagen, manchmal zu Fuß über die grüne Grenze. Viele landen aber auch einfach als „Scheinlegale“ mit dem Flugzeug in Frankfurt am Main und schlüpfen durch die Kontrollen oder umgehen geschickt die deutschen Gesetze.

Meistens prallen Kulturen aufeinander, wenn die Schleuserbanden zur Rechenschaft gezogen werden. Zu besichtigen ist das im Frankfurter Sektenprozeß, der seit September vor dem Landgericht verhandelt wird. Angeklagt ist eine Gruppe von sechs Personen um den 47jährigen Iraner Askari Y. wegen gewerbsmäßiger Anstiftung zum Asylmißbrauch.

So wie Y. und seine Zweitfrau Najeh N. – Y. lebte bis zu seiner Verhaftung vor einem Jahr mit seinen beiden Frauen und insgesamt acht Kindern unter einem Dach – die Sache schildern, ist alles ganz harmlos: Sie seien politisch Verfolgte, keine Fluchthelfer, behauptet Y. „Wir wollen ein besseres Zusammenleben von Deutschen und Migranten“, rechtfertigt er sich in bestem Sozialarbeiterdeutsch. Es ginge ihm um „Frieden zwischen den Religionen“.

Als Verfolgter ist er 2004 nach Deutschland gekommen und sofort anerkannt worden, weil ihm im Iran die Todesstrafe drohe. Y. hat Arbeit gefunden (Monatseinkommen 2.700 bis 2.800 Euro netto) und sich eine bürgerliche Existenz aufgebaut, die im Erwerb eines Eigenheims für 2,4 Millionen Euro gipfelte. Ob das Geld immer reiche, will der Richter wissen. „Ich beherrsche die Kunst des Lebens“, antwortet Y.

Auch seine Zweitfrau ging arbeiten. Sie erinnert sich heute noch an die Verbrennungen, die ihr die Friteuse in einem Imbiß zugefügt habe, sagt N. „Wir haben das gemacht, damit wir nicht zum Sozialamt gehen müssen. Auch unsere Kinder wollten das nicht. Wir leben lieber bescheiden.“ Bescheidene, fleißige Leute eben.

Auch die Einreise der Familienangehörigen und Freunde aus dem Iran nach Deutschland sei ganz harmlos gewesen. „Wir haben unseren Freunden nur ein paar Hinweise gegeben und konnten nicht wissen, daß das strafbar ist“, beteuert sie. Kontakt zu professionellen Schleuserbanden bestreitet sie nicht. Das habe aber nur dem Schutz der Flüchtlinge gedient.

Doch ganz so unverfänglich ist die Sache nicht. Die Staatsanwaltschaft wirft Y. und seinem Anhang gewerbsmäßige Anstiftung zum Asylmißbrauch vor. Eine Anklage, die es so noch nicht gegeben hat in Deutschland. Die Bandenmitglieder sollen einreisewillige Iraner darin geschult haben, wie sie die Einreise als politisch beziehungsweise religiös Verfolgte bewerkstelligen.

Die Geschichte, die sie deutschen Behörden erzählen sollten, ging so: Y. war im Iran als Geistlicher tätig, ist aber nach dem Tod des Ayatollah Khomeini, den er sehr verehrt und für den er im Krieg gegen den Irak gekämpft hat, vom (falschen) Glauben abgefallen und habe seine rassischen und religiösen Vorurteile besiegt. Y. kam zu der Überzeugung, daß die Mullahs Verbrecher sind und geriet so in den Konflikt mit der Obrigkeit. Als Religionslehrer konnte er einige Anhänger gewinnen. Seine Sekte „Die Stimme Allahs“ habe etwa vierzig Mitglieder.

Manche dieser Mitglieder halten Y. für den „verschollenen Imam“, der der Sage nach die Welt retten wird. Sie alle – selbst seine zweite Frau – nennen ihn ehrfürchtig „Meister“. Alle Mitglieder des Vereins stünden im Iran unter starker Beobachtung. Alle – so haben sie es angegeben – waren durch die Todesstrafe bedroht. Komisch nur, daß weder iranische Offizielle noch iranische Menschenrechtler und Regimegegner etwas über die „Stimme Allahs“ wissen. Sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch die berüchtigten Volksmudschahedin teilen auf Nachfrage der JUNGEN FREIHEIT mit, daß über die „Stimme Allahs“ keinerlei Erkenntnisse vorliegen. Eine Gruppe, die so wichtig ist, daß gegen ihre Mitglieder reihenweise Todesurteile gesprochen werden, die aber niemand kennt – außer den nach Deutschland ausgereisten Angehörigen dieser Organisation? Seltsam.

Und woher kam das Geld für Ys Hausbau? Angeblich zahlt er „nur“ 950 Euro Zinsen im Monat und kann nichts tilgen – bei einer 100-Prozent-Finanzierung übrigens. Welche Bank gibt jemandem wie Y. einen 2,4-Millionen-Euro-Kredit? Fragen, die im Prozeß bislang nicht vollständig geklärt wurden. Soviel aber steht fest: Ys Anhang konnte sich nicht selbst versorgen. Nach dem Anführer Y. eingereiste Mitangeklagte gaben an, erwerbslos und daher auf Hartz IV angewiesen zu sein.

Y. kann Broschüren vorweisen, in denen er sich mit religiösen Fragen beschäftigt hat. Ganz erfunden kann seine Geschichte daher nicht sein. Aber die Sache mit seiner Sekte scheint genau so ausgeschmückt zu sein, daß sie im Westen gerne gehört wird. Y. gibt sich als extrem liberaler Muslim, der unter anderem von den Mullahs verfolgt wird, weil er für Frauengleichberechtigung eintritt. Andererseits tragen seine beiden Frauen Kopftuch und sagen Sätze wie: „Bei uns tragen Männer die Verantwortung.“

Im Frankfurter Sektenprozeß wird auch zu klären sein, wie weit die Beratung für Asylanten gehen darf und ob es zulässig ist, ihnen Tips zu geben, mit denen deutsche Behörden ausgetrickst werden können. Eine Praxis, die – darauf weisen die Iraner zu Recht hin – schließlich auch von deutschen Institutionen wie Ausländerbeirat oder Wohlfahrtsorganisationen durchgeführt wird.

Und manchmal sind es auch die zuständigen Behörden selbst, die die illegale Einwanderung überhaupt erst möglich gemacht haben. Das größte Verfahren gegen eine organisierte Schleuserbande läuft zur Zeit in Dresden. Mit jedem neuen Verhandlungstag kommen neue Beweise ans Tageslicht. Schon jetzt ist klar, daß die lange geplante Urteilsverkündung weiter auf sich warten läßt. Noch ins kommende Jahr hinein wird die Verhandlung gegen die drei Hauptangeklagten laufen.

Dabei besteht die Dresdner Schleuserbande gar nicht aus den gewalttätigen Menschenhändlern oder einer dreißigköpfigen Mafiagang. Wer den Gerichtssaal im Dresdner Landgericht betritt, trifft nicht auf tätowierte Muskelpakete mit Goldkettchen oder russisch sprechende „Biznismen“.

Angeklagt sind eine gebürtige Vietnamesin Thi T. (Spitzname Gisela) und zwei Deutsche, die bei der Dresdner Ausländerbehörde beschäftigt gewesen sind: Herr L. und Frau W. Den dreien wird vorgeworfen, über Jahre hinweg systematisch Vietnamesen ins Land geholt zu haben. An den Einwanderungsgesetzen vorbei – und für gutes Geld.

An diesem Tag ist der Vietnamese Anh Q. geladen. Nach einer früheren Verhandlung ist er noch im Gerichtssaal verhaftet worden. Q. war Zeuge, und ihm wurde vom Staatsanwalt Falschaussage vorgeworfen. Die Polizei verhörte Q. an diesem Tag so lange, bis er gestand. Jetzt ist er erneut vor Gericht, um seine Aussage richtigzustellen.

„Es war ursprünglich so, daß ich herkommen wollte, um zu studieren. Aber ich war sprachlich nicht gut genug. Dann habe ich Frau T. kennengelerrnt.“

„Wie?“

„Über meine Tante.“

„Wie ist es dazu gekommen?“

„Meine Tante kannte die Dienstleistungen von Frau T.“

„Was verstehen Sie unter Dienstleistungen?“

„Sie vermittelt Leute, daß man heiraten kann, damit man hierbleiben kann.“

„Woher wußten Sie das?“

„Das hat sich bei den Vietnamesen herumgesprochen. Ich habe ihr meinen Wunsch berichtet, daß ich eine Frau zum Heiraten brauche, und sie hat gesagt, daß sie das macht.“

Nach einigen Wochen sei das Geschäft zustande gekommen. Kostenpunkt 15.000 Euro. In anderen Fällen hat Frau T. noch mehr Geld genommen. Einen Teilbetrag mußte sie weitergeben: an schwangere deutsche Frauen, die erklärten, daß ein bestimmer Vietnamese der Vater ihres Kindes sei. An deutsche Paare, die vorgaben ein Au-pair-Mädchen zu suchen. An deutsche Männer, die Scheinehen eingingen, um Vietnamesinnen eine Aufenthaltsgenehmigung zu verschaffen.

Und nie hat jemand beim Ausländeramt nachgefragt, ob denn das Kind tatsächlich von dem vorgeblichen Vater stammt, obwohl heutzutage bereits bei Ladendieben über DNS-Proben nachgedacht wird. Nie wurde überprüft, wer sich da um ein Au-pair bemüht und ob die Familie überhaupt den erforderlichen Wohnraum oder Kinder hat.

So ging es jahrelang. Kinder sind zur Welt gekommen, die längst zur Schule gehen und dort angeblich eine ganz gute Figur machen. Die Vietnamesen sind weitgehend integriert. Schon diese zwei Beispiele zeigen, wie löchrig die deutschen Außengrenzen sind und wie einfach es illegalen Zuwanderern teilweise gemacht wird, nach Deutschland zu gelangen. Und vor allem: wie leicht es für einige ist, ins deutsche Sozialsystem einzusickern.

Demnächst könnte es noch einfacher werden: Nach neuester Rechtsprechung machen sich illegale Einwanderer noch nicht einmal strafbar. Am 6. Dezember hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt, daß ein Zuwanderer, der illegal in die EU einreist, sich nicht strafbar macht.

Dies ist nunmehr erst dann der Fall, wenn er sich seiner eventuellen Abschiebung widersetzt. Ein Urteil, über das in Deutschland erstaunlich wenig berichtet wurde. Schleuserbanden können spürbar aufatmen.

 

Spektakuläre aktuelle Schleuser-Fälle

Freiburg: Eine siebenköpfige, überwiegend türkische Bande muß sich ab Januar vor dem Landgericht verantworten, weil sie Iraker und Afghanen für bis zu 3.000 Euro pro Person über die Türkei, Griechenland, Italien und Bulgarien eingeschleust haben soll.

Berlin: Im August wurde ein Vietnamese zu vier Jahren, drei Monaten verurteilt. Er hatte falsche Pässe besorgt.

Innsbruck: Eine Irakerin soll mit Komplizen Hunderte Iraker, Iraner und Syrer nach Deutschland geschleust haben. Urteil nächste Woche Freitag.

Kleve: Ein Inder steht im Verdacht, 15 Landsleute eingeschleust zu haben. Großrazzia im September, Anklage vermutlich 2012.

Ebenfalls im September: Bei einer Razzia im Rhein-Main-Gebiet wurden mehrere Wohnungen durchsucht. Die Bandenmitglieder sollen Afghanen für 12.000 Euro pro Person eingeschleust haben. Verfahren noch nicht eröffnet.

Foto: Europa: Afrikaner reisen in der Regel über das Mittelmeer und Italien, Asiaten kommen auf dem Luft- oder Seeweg mit getürkten Papieren, Zuwanderer aus Zentralasien hingegen wählen den Landweg über die Türkei und den Balkan

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