© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Harmonischer als behauptet
Dieter Kilian analysiert das Verhältnis der deutschen Bundeskanzler und Präsidenten zur Bundeswehr
Georg Meyer

Als eine Art Nachschlagewerk ist dieses Buch zweifellos eine Bereicherung, aber auch ein Ärgernis. Eine Bereicherung, weil kaum eine Frage, und sei sie noch so nebensächlich, unbeantwortet bleibt, selbst wenn sie niemand gestellt hat. Wir wissen beispielsweise nun, daß Schnupftabak zu den kriegswichtigen Marketenderwaren gezählt hat. Ein Ärgernis ist dieses Buch aber, weil der Verfasser auf jede nur denkbare Weise, unbeirrt durch Fakten, sein Mantra zu untermauern versucht, daß es seit dem Aufbau der Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland, ja schon seit deren Planung, an Akzeptanz und Verwurzelung im Volksganzen mangelt.

Daran ist soviel richtig, daß nur wenige Jahre nach zwei militärischen Katastrophen in kurzen Abständen und der Austilgung des Deutschen Reiches als Machtfaktor sowie der Vernichtung der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft als Folge der bedingungslosen Kapitulation im Mai 1945 die Notwendigkeit deutscher Streitkräfte, zudem noch in zu erwartender enger personeller Kontinuität zur Wehrmacht, angesichts der Trümmerfelder nicht jedermann leicht zu vermitteln war. Notabene: Auch die frühzeitige Aufstellung von deutschen militärischen Verbänden auf dem Territorium der SBZ, der späteren DDR, stieß dort auf Vorbehalte, auch wenn sie sich nicht so lautstark artikulieren konnten wie in den frühen Jahren der Bundesrepublik Deutschland.

Die offenkundige personelle Kontinuität der Bundeswehr zu den ehemaligen drei Wehrmachtteilen der dreißiger und der Kriegsjahre überlagerte zudem ganz die Neuartigkeit der Bundeswehr, die als integraler Teil des atlantischen Bündnisses konzipiert worden ist und deswegen bis zur Zeitenwende 1989/ 1990 bei aller Betonung einer „Integration in die Gesellschaft“ sich ein Anflug von Fremdartigkeit nie ganz verlor.

Dies zeigte sich frühzeitig etwa bei der letztlich fruchtlosen Diskussion über den Oberbefehl, der bei der Struktur des Bündnisses nationaler Verfügung weitgehend entzogen war. Die Minister und Bundeskanzler mußten hauptsächlich darauf vertrauen, daß entsprechend ihrenWeisungen, wenn sie sie denn erhielten, die deutschen Generalstabsoffiziere und Generale in entscheidenden Funktionen im Bündnis auch deutsche Interessen zur Geltung brachten, nach dem geflügelten Wort in der Nato: „Wer mitreden will, muß dabeisein.“

Derweil mußte die auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland dislozierte Bundeswehr sehen, wie sie in den Garnisonen mit der „Zivilgesellschaft“ zurechtkam, wobei sich in nicht wenigen Fällen entgegen Kilians These enge und stabile, auch emotionale Bindungen entwickelten, weit über ökonomische Beziehungen und Interessen hinaus. Dies zeigte sich bei den verschieden begründeten Strukturreformen in der Vergangenheit. In den Diskussionen auf der Hardthöhe über den Fortbestand oder die Auflösung dieses oder jenes Standorts argumentierten die Kommunalpolitiker im Laufe der Jahre keineswegs nur mit den befürchteten wirtschaftlichen Einbußen im Falle einer Kasernenschließung. Keine Frage, daß es auch bedauerliche Gegenbeispiele gibt und manche Kommune, zum Beispiel Göttingen, die Soldaten leichten Herzens ziehen ließ – aber das Lamento über die grundsätzlich mangelnde Akzeptanz der Bundeswehr in der öffentlichen Wahrnehmung seit nunmehr 55 Jahren bedarf doch erheblich der Differenzierung.

Der Rezensent sah neulich im Dienstzimmer des Oberbürgermeisters von Zweibrücken die in der Sonne Afghanistans gebleichte und im Wind zerzauste Stadtfahne, die er dem ortsansässigen Fallschirmjägerbataillon 263 in den Einsatz mitgegeben hatte – eine Geste, die wohl weit über ökonomische Interessen hinausgeht und viel über eine seit langem gewachsene gefühlsmäßige Verbindung von Stadt und Garnison aussagt, erst recht, seit die Garnison tödliche Verluste in Afghanistan hat hinnehmen müssen.

Mit beeindruckender Akribie untersucht der Verfasser nun, wie es um das Verhältnis der Bundespräsidenten und der Bundeskanzler zu den Streitkräften steht. Bei ersteren steht natürlich die protokollarische Seite im Vordergrund, und da sind die Bundespräsidenten im großen und ganzen gut mit den ihnen aus verschiedenen Gründen zugewiesenen Verbindungsoffizieren ausgekommen, wobei sich – gerade bei einer so eigenwilligen Persönlichkeit wie Gustav Heinemann, dessen Porträt Kilian mit grimmiger Sympathie zeichnet – im Laufe der Zeit vom anfänglichen Desinteresse ein wachsendes positives Verständnis für die Aufgaben der Bundeswehr und ihre Leistungen als Bündnisstreitmacht ergab.

In der Vermischung von biographischen Würdigungen mit allgemeiner Geschichte – so sucht der durchaus mit detektivischer Begabung ausgestattete Verfasser bei allen Präsidenten und Kanzlern mehr oder minder erfolgreich nach militärischen Genen – mißlingt ihm nicht nur einmal die Gewichtung der eng miteinander verflochtenen Ereignisse oder er bleibt hinter dem längst erreichten Forschungsstand zurück. So ist das, was er über die weit überschätzte Tätigkeit des Generals a.D. Gerhard Graf von Schwerin im Bundeskanzleramt und den Zugang der Generalleutnante a.D. Adolf Heusinger und Hans Speidel zu Adenauer schreibt, mit den Ergebnissen ernsthafter Forschung nicht im Einklang, ganz abgesehen von seiner abwegigen Vermutung, daß bei einem gelungenen Experiment mit Schwerin ein General erster Verteidigungsminister hätte werden können – nie und nimmer, damals schon gar nicht und heute auch nicht.

Ähnliches gilt für seine Beschreibung der Auseinandersetzung zwischen Kurt Georg Kiesinger und Gerhard Schröder im Sommer 1967. Wir erfahren zwar Genaues von den Schwierigkeiten der Unterbringung des parlamentarischen Staatssekretärs im Bundeskanzleramt, auch, daß während ihres keineswegs nur protokollarischen Konflikts Kanzler und Verteidigungsminister gemeinsam (wie es sich auch gehörte) in Munster eine Ehrenformation abschritten, aber Unzureichendes über die Substanz der Auseinandersetzung, die immerhin die Glaubwürdigkeit des deutschen Beitrages im Bündnis berührte, wenn nicht in Frage stellte.

Keine Zeile ist dem Verfasser ein Hinweis wert, daß auch noch (zu ihrem Unwillen) die Generale Heusinger und Speidel in die Kontroverse einbezogen wurden, die schließlich den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes das Amt kostete. Der beeindruckenden Sorgfalt auch in der Zusammenstellung von Belanglosigkeiten (etwa Speisezettel bei Truppenbesuchen) und Selbstverständlichkeiten steht die selektive Nutzung der inzwischen reichlich vorhandenen Literatur gegenüber, auch, daß der Verfasser etwa eindeutig belegte Äußerungen Adenauers durch die Formulierung „es wird kolportiert“ gelinde in Zweifel zieht.

Man gewinnt gelegentlich den Eindruck, Kilian zitiert nur, was ihm in seine Darstellung paßt und gibt damit die sonst von ihm beanspruchte Zuverlässigkeit preis. So schreibt er auch ohne Prüfung nach, was allgemein als schwerwiegender Vorwurf und Kritik gegen Adenauer vorgebracht wird, daß er mit seiner Äußerung, taktische atomare Waffen seien nichts anderes als die Weiterentwicklung der Artillerie, die Problematik atomarer Warfen nicht erkannt, ja verharmlost habe. Dabei hatte der Bundeskanzler bei näherer Betrachtung zum Zeitpunkt seiner Aussage, April 1957, damit unzweifelhaft recht. Sie bezog sich nämlich auf die zeitweilige Stationierung ungefüger atomarer Artillerie auf deutschem Boden, einer Gefechtsfeldwaffe also, über die ihn und Heusinger der SACEUR, General Ridgway, persönlich unterrichtet hatte.

Es ist mittlerweile bei kritischen Betrachtungen üblich, Kilian mit Hinweis darauf zu entlasten, sein zweifellos wichtiges Werk hätte ein gründlicheres Lektorat gerade zwecks Straffung und Übersichtlichkeit verdient. Dies gilt auch im vorliegenden Falle, wäre aber wohl vergeblich gewesen. Denn der Verfasser, getrieben von seiner lobenswerten Absicht, ein grundlegendes Werk zum selbst gewählten Thema vorzulegen, war schon zuvor in der Fülle des Materials untergegangen. Leider hat ihm niemand rechtzeitig die Warnung des Göttinger Historikers Percy Ernst Schramm an allzu fleißige Doktoranden nahegebracht: „So genau wollen wir es gar nicht wissen.“ Bedauerlicherweise ist der Verfasser mit dieser Veröffentlichung hinter den Standard zurückgefallen, den er mit seinem Buch: „Elite im Halbschatten, Generale und Admirale der Bundeswehr“ (2005) selbst gesetzt hatte.

 

Dr. Georg Meyer arbeitete als Historiker beim Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA).

Dieter E. Kilian: Politik und Militär in Deutschland. Die Bundespräsidenten und Bundeskanzler und ihre Beziehung zu Soldatentum und Bundeswehr. Miles-Verlag, Berlin 2011, gebunden, 636 Seiten, 44,80 Euro

Foto: Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt besucht 1969 die Bundeswehrgarnison Ebern in Oberfranken: Direkter Draht zur Truppe

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