© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Die Glotze guckt in die Röhre
Medienwandel: Die Fernsehzuschauer altern / Der Siegeszug des Internets setzt vor allem die privaten Fernsehsender unter Druck
Ronald Berthold

Die Franz Münteferings dieser Welt sterben aus und mit ihnen wahrscheinlich auch die klassischen Fernsehsender. Der 71jährige frühere SPD-Chef ist bekennender Internetverweigerer. Selbst für seine eigene Generation ist Müntefering damit nicht unbedingt repräsentativ, aber wahr ist: Je älter die Deutschen, desto weniger sind sie online und desto mehr informieren sie sich über Zeitung, Radio und Fernsehen.

Umgekehrt heißt das, die Jüngeren nutzen das Internet deutlich intensiver. Sie schreiben nicht nur E-Mails, sondern sie schauen sich das Konzert ihrer Lieblingsband online an, sie informieren sich auf den Nachrichtenportalen, kommunizieren über Facebook und organisieren sich dort mit Gleichgesinnten.

Für diese Generation wird eine Tageszeitung immer entbehrlicher. Denn fast alles, was dort geschrieben steht, konnte man einen Tag zuvor schon im Internet lesen. Im Schatten dieses Niedergangs stirbt langsam aber auch ein Medium, das mit seiner Schnelligkeit dem Internet durchaus Paroli bieten könnte: das Fernsehen.

Der durchschnittliche TV-Zuschauer ist 51 Jahre alt, die Kunden des ZDF bringen es sogar auf 61 Lenze, die der ARD auf 59. Selbst die Seher des vermeintlichen jugendlichen Senders RTL sind im Schnitt schon 47 Jahre alt. Die Jungen verweigern dem Fernsehen die Gefolgschaft.

Was einst eine Droge für Kinder und Jugendliche war und von Eltern reguliert werden mußte, interessiert in dieser Generation immer weniger. Warum? Auch hier hat das Internet dem klassischen Medium die Kunden abspenstig gemacht. „Tagesschau“-Sprecherin Judith Rakers hat das erkannt. In einem Aufsatz für die Welt schreibt sie: „Meine These lautet: Das Fernsehen hat keine Zukunft.“

Eine ressortübergreifende Information, wie sie die „Tagesschau“ oder die Morgenzeitung bieten, werde immer weniger gewünscht, meint die Journalistin. Der Trend gehe eindeutig zur Individualisierung. Radikal gesagt: Der Sportfan will von Theater nichts wissen und schaut sich im Internet nur noch die Spiele seines Vereins an. Und der Opernbesucher will bitte mit Wirtschaft und Sport in Frieden gelassen werden. Künftig werde sich jeder nach seinem Interesse informieren. Und dafür braucht er eben keinen Fernseher und auch keine „Tagesschau“. Im Gegenteil: Beides nervt nur noch wegen fixer Anfangszeiten und allumfassender Berichterstattung.

Im Internet kann man sich die „Tagesschau“ anschauen, wann man will. Den 20-Uhr-Gong könnte die Redaktion bald abschaffen. Und um gut unterhalten zu werden, benötigt die junge Generation schon heute kein TV-Gerät mehr. Das Videoportal YouTube bietet ein derart vielfältiges und reichhaltiges Archiv, daß niemand auf der Welt das jemals alles anschauen kann. In jeder Minute laden die Nutzer dort 48 Stunden Programm hoch.

Weit hergeholt sind Rakers Thesen also nicht. Bemerkenswert ist jedoch, daß sie von einer so bekannten Fernsehfrau öffentlich ausgebreitet werden. Aber sie steht nicht allein. Andere TV-Stars machen dieselbe Erfahrung: „Das Fernsehen erlebt seinen Niedergang. Es verliert an Bedeutung. Die meisten Jugendlichen, die mich ansprechen, kennen mich von YouTube“, sagt der Komiker Hape Kerkeling, ein Kind des Fernsehens.

Wenn der durchschnittliche Fernsehzuschauer heute 51 Jahre alt ist, führt sich das Medium selbst ad absurdum. Denn die werberelevante Gruppe ist von den Sendern und Werbeagenturen auf 14 bis 49 definiert worden.

Doch wenn diese Menschen nicht mehr vor der Glotze hängen, braucht dort auch kein Unternehmen mehr seine Reklamespots zu schalten. Und ohne Werbung kein Geld. Zumindest für die Privatsender ist das eine bittere Perspektive.

Durch die Fixiertheit auf eine junge Zielgruppe dreht sich die Abwärtsspirale sogar noch schneller. Denn das Programm wird für ganz andere Menschen gemacht als diejenigen, die es sich schließlich anschauen. Wer aber auf Dauer am Publikum vorbeiarbeitet, wird auch noch seine Stammzuschauer verprellen.

In zwanzig Jahren wird die Internetgeneration noch viel dominanter sein als heute, da bereits 72 Prozent aller Deutschen regelmäßig online sind. Die Mediennutzer des Jahres 2030 werden im selben Maße fernsehentwöhnt sein, wie die Menschen vor zwanzig Jahren ans Fernsehen gewöhnt waren. Die Konsumenten von morgen stehen in ganz anderen medialen Traditionslinien. Sie werden sich ihr Leben lang ihr Entertainment aus dem Netz geholt haben.

Einen Hans-Joachim Kulenkampff, der eine Nation am Sonnabend um 20.15 Uhr vor den Mattscheiben versammelte, wird es nie wieder geben. Und damit auch keine Zuschauer, für die Fernsehen ein Gemeinschaftserlebnis ist. Menschen wie Franz Müntefering, die sich dem Internet verweigern, werden 2030 undenkbar sein. Erst recht, wenn sie wie der Sauerländer im Bundestag sitzen. Denn das Fernsehen als primäre Informationsquelle und manipulierendes Medium wird dann ausgedient haben.

Foto: Friedhof der Mattscheiben: Die meisten TV-Geräte landen auf dem Wertstoffhof

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