© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Die Kraft des Blutes
Ausstellung II: Der antike Mithras-Kult im Römerkastell Saalburg
Karlheinz Weissmann

Nach dem berühmten Wort Ernest Renans wäre die Welt – einen kleinen Unfall vorausgesetzt – nicht christlich, sondern „mi-thräisch“ geworden. Tatsächlich war der Mithras-Kult im 3. und 4. Jahrhundert die wichtigste Konkurrenz des jungen Christentums, was einerseits auf gewisse Ähnlichkeiten – die Struktur einer Erlösungsreligion, die Betonung des Ethischen –, andererseits auf massive Unterschiede – Arkancharakter, Ausschluß der Frauen – zurückzuführen war. Da es sich beim Mithras- um einen Mysterienkult handelte, sind viele seiner Lehren bis heute nicht bekannt, und eine Ausstellung über ihn, wie sie jetzt in der Saalburg gezeigt wird, sieht sich gezwungen, sehr viel zu erklären und den Besucher auf Spekulationen zu verweisen, wo er sichere Informationen erwartet. Selbstverständlich gibt es auch eindrucksvolle Exponate, so das in allen Mithräen aufgestellte, im allgemeinen plastisch oder als Relief gearbeitete Bild des Gottes, auf dem Rücken des zusammengebrochenen Stiers kniend und ihm einen Dolch in den Hals stoßend, aber dadurch werden die Lücken doch nicht geschlossen.

Das Stück, das die Saalburg zeigt, hat man bei Ausgrabungen in der Wetterau gefunden, und auch die übrigen Originale gehen auf Funde zurück, die entlang der Limeslinie gemacht wurden. Die Mithras- als Soldatenreligion hatte in praktisch jedem Kastell eine Gemeinde und oft sehr aufwendige Kulträume (der an der Saalburg rekonstruierte ist bedauerlicherweise wegen Bauarbeiten gesperrt); bemerkenswerterweise blieb die Größe des Versammlungsplatzes, der die Höhle nachbildete, in der Mithras den Stier getötet haben sollte, immer so beschränkt, daß nur zwanzig bis vierzig Gläubige anwesend sein konnten. Besonders hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auf die Geräte, die in der Saalburg gezeigt werden und die eine besondere Rolle für den Gottesdienst gespielt haben müssen, darunter ein großer Keramikkrug mit figürlicher Darstellung von Rabe und Schlange, den heiligen Tieren, die Mithras begleiteten, ein Strahlenkranz aus Eisen und ein Gerät, bestehend aus Schwertgriff und -spitze, die mit einem metallenen Halbbogen aneinandergeschmiedet waren und wohl der rituellen Tötung des Initianden dienten, der – wenn man das Stück mit dem Mittelstück um den Leib legte –, aussah, als ob das Schwert bis zum Heft eingedrungen und die Spitze am Rücken wieder ausgetreten sei.

Bei dieser Deutung sieht man sich allerdings schon in den Bereich des Spekulativen verwiesen. Die schmale Datenbasis stellt bis heute ein erhebliches Problem für die Erforschung der Mi-thrasverehrung dar. Dementsprechend scharf sind auch die Forschungsdebatten. Zwar besteht ein Konsens darüber, daß die Religion ihren Ursprung in Persien hatte und Mithras eine Variante des iranischen Gottes Mithra war. Aber es gibt schon keine Einigkeit in bezug auf die Frage, ob auch nach der Morphose, die sich bei Übernahme in das Römische Reich vollzog, der östliche Einfluß bestimmend oder nur der Name erhalten blieb, während der religiöse Inhalt weitgehend ausgetauscht wurde. In der Ausstellung der Saalburg wird außerdem darauf hingewiesen, daß die eine Zeitlang sehr intensiv diskutierte These von David Ulansey über einen Zusammenhang der Religion mit der Veränderung der Erdachsenausrichtung („Präzession“) und daran anknüpfende astrologische Spekulationen heute wieder in den Hintergrund getreten ist.

Wenn darauf hingewiesen wurde, wie fremd viele Vorstellungen, Symbole und Ausdrucksformen des Mithraskults für den heutigen Betrachter sind, so muß diese Feststellung erst recht für den zentralen Akt der „Taurobolie“ gelten, die Taufe mit Stierblut, bei der sich der Neophyt in einer Vertiefung unter einem Gerüst befand, auf dem der Stier nach dem Vorbild des göttlichen Urakts getötet wurde, so daß das Blut auf den Wartenden herabstürzte. Die Kirche hat darin – wie in vielen Teilen der mi-thräischen Liturgie – eine Parodie der christlichen Taufe gesehen.

Der Wahrheit näher kommt man mit dem Hinweis auf die zentrale Vorstellung von der regenerierenden Kraft des Blutes, durch dessen Vergießen Mithras die Schöpfung ins Werk gesetzt und nun der Gläubige ein „neuer Mensch“ werden sollte. Wir besitzen keine historischen Darstellungen dieses Vorgangs, aber in der Saalburger Ausstellung wurden die Überreste mit Bildern der Frankfurter Malerin Farangis G. Yegane zusammengestellt, unter denen die nur in Weiß und Rot gehaltene, fast vier Meter hohe „Taurobolie“ sicher zu den eindrucksvollsten gehört.

In Ermangelung eines Katalogs erfährt man leider nichts über die Motive, die heute einen Künstler und noch dazu eine Frau bewegen, sich mit Mithras auseinanderzusetzen. Daß es sich um eine Auseinandersetzung handelt, die an Elementares rührt, darf man auch einem Bild Yeganes entnehmen, das den gekreuzigten Christus zeigt, dessen Blut in denselben Kelch fließt wie das eines sterbenden Stiers.

Die Ausstellung „Mysterium Mithras – ein antiker Geheimkult im Spiegel von Archäologie und Kunst“ ist noch bis zum 22. Januar 2012 im Römerkastell Saalburg bei Bad Homburg (Archäologischer Park Saalburg 1) täglich außer montags von 9 bis 15.30 Uhr zu sehen.

www.saalburgmuseum.de

Foto: Farangis G. Yegane, Felsgeburt (Farblithographie): Die Kirche hat in vielen Teilen der mithräischen Liturgie eine Parodie der christlichen Taufe gesehen

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen