© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

CD: Jännerwein
Lieder des Sehnens
Nils Wegner

Bereits im Jahre 2008 sorgte die österreichische Gruppe „Jännerwein“mit ihrem Debütalbum „Abendläuten“ für Aufsehen. Ihr unverwechselbar alpiner Heimatfolk bot eine willkommene Abwechslung innerhalb des scheinbar stagnierenden klassischen, also weitgehend akustischen Neofolks. Nach dreijähriger Wartezeit haben die Salzburger, inzwischen zum Quartett angewachsen, nun ihr zweites Album „Nach der Sehnsucht – Von der Beständigkeit der Erinnerung“ veröffentlicht.

Stilistisch sind Jännerwein sich treu geblieben. Nach wie vor wird ihr musikalisches Schaffen von Gedichtvertonungen bestimmt, doch fließen im Vergleich zum Vorgänger deutlich mehr eigene Texte in das Werk ein. Das neue Album beginnt nach einem instrumentalen, vom Ticken einer Uhr dominierten Intro mit einer Interpretation von Gottfried Benns „Durch jede Stunde“. Trotz beschwingten Flötenspiels und eingängiger Gitarrenmelodie schaffen es die klaren Männerstimmen, die unterschwellige Qual der Sehnsucht und des Entsagens zu transportieren. Dieses Leitthema spiegelt sich auch in Titeln wie „Daran haben wir die Liebe erkannt“, „Gram“ oder „Schweigen“. Wenn zum Ausklang abermals die tickende Uhr zu hören ist, läßt sich empfinden, wie eigene Sehnsucht und Gedanken, die einem fernen Ort zustreben, Augenblicke zu Ewigkeiten ausdehnen können.

Lieder wie „Laß mich hinaus“ und „Erwachen“ verschmelzen in ihrem drängenden Fernweh den bündischen Lagerfeuercharme deutschsprachiger Neofolkpioniere wie „Forseti“ maßvoll mit mystisch anmutender Naturpoesie. Gleichsam einen stimmungsmäßigen Bruch stellt „An den Mistral“ dar; wie schon sein Vorgänger verfügt auch dieses Album damit über eine musikalische Umsetzung eines Nietzsche-Gedichts. In eine langsam anschwellende, traditionell provenzalische Komposition eingebettet, verfehlt der Text nicht seinen stürmerischen Grundton – wie wollte man Nietzsche vertonen, wenn nicht so?

Ironischerweise schließt sich mit „My Prime of Youth“ der lyrische Inbegriff des Rückblicks auf eine verlorene Jugend an: Bei dem zugrundeliegenden Text handelt es sich um den elegischen Abschiedsbrief Chidiock Tichbornes, der 1586 wegen Beteiligung an der Babington-Verschwörung gegen Königin Elisabeth I. mit Anfang Zwanzig hingerichtet wurde. Mit Akkordeon- sowie Violinuntermalung eingespielt und von Gastsänger Thomas Bøjden, Kopf hinter dem dänischen Projekt „Die Weiße Rose“, verhalten und schleppend vorgetragen, ergeben Lied und Gedicht ein düsteres Stück Musik, das wie aus einem Guß wirkt – gerade mit den abschließenden Trommelwirbeln, die den Gang zum Schafott andeuten. Gewiß aufwühlend, doch der heimliche Höhepunkt des Albums.

Mit „Nach der Sehnsucht“ ist den vier jungen Männern von Jännerwein ein großer Wurf gelungen. Zwar ist die CD deutlich nachdenklicher gehalten als ihr Vorgänger, beinahe schon bedrückend, doch finden sich noch immer die großen Themen Sehnsucht, Natur- und Heimatliebe, Schicksal – oftmals unterlegt mit einem deutlichen metaphysischen Zungenschlag. Die geschmackvolle Gestaltung des umfangreichen Beihefts trägt zur Geschlossenheit des Gesamtkunstwerks bei.

Jännerwein, Nach der Sehnsucht Rainberg Verlag (RBV 01), 2011 www.rainberg.at

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