© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Pankraz,
André Kostolany und die Staatsanleihen

Die gegenwärtige Panik bei all denen, die ein bißchen Geld auf die hohe Kante legen können, also bei den ungierigen und geduldigen „echten Sparern“, ist nur allzu verständlich. Sie wollen nicht spekulieren, um üppige Gewinne zu machen, sie suchen nur „Sicherheit“ und kauften deshalb bisher lieber Staatsanleihen, Bundesschatzbriefe usw. statt Aktien. Und jetzt in der Finanzkrise müssen sie realisieren, daß es nichts Unsichereres mehr gibt als Staatsanleihen. Das Wort „Staatsanleihe“ ist zum Schreckwort für sämtliche Geldanleger geworden, ob große oder kleine.

Aber wieso konnte man überhaupt je auf den Gedanken kommen, daß der Staat ein guter Schuldner sei und die von ihm ausgegebenen Schuldscheine faktisch absolut sicher? Ja, es stimmte: Die alten Preußenkönige, Friedrich Wilhelm I.,Friedrich II., führten ein strenges Haushaltsregiment und gaben nie mehr aus, als sie vorher eingenommen hatten. Doch schon die „Kriegsanleihen“, die Berlin (wie übrigens auch London und später Amerika) 1914 zur Finanzierung des Ersten Weltkriegs ausgab, waren einzig auf bloße Versprechen gebaut und führten speziell für das besiegte Deutschland in die totale Rückzahlungsunfähigkeit.

So schüttelte man denn auch nur amüsiert die Köpfe, als der bekannte Börsenspekulant André Kostolany im Jahre 1989, als sich der Untergang des Sowjetreichs vage abzeichnete, große Mengen russischer Staatsanleihen aus der Zarenzeit aufkaufte. Denn diese Papiere lagen ja faktisch nur noch als historische Erinnerung herum, die Sowjets hatten nie an ihre Tilgung gedacht und auch niemals Zinsen bezahlt. Sie wurden Kostolany buchstäblich hinterhergeschmissen, er bezahlte weniger als 0,25 Prozent ihres einstigen Wertes.

Indes, der Spekulant kalkulierte scharf und äußerst gefühlsgenau. Das sich abzeichnende alt-neue Rußland, so ahnte er, werde alles daransetzen, seinen Ruf als seriöser Finanzpartner so schnell wie möglich wiederherzustellen, werde es doch zunächst noch gänzlich von westlichen Investoren abhängig sein, deren unbedingtes Vertrauen es gewinnen müsse. Zudem sei es ein potentiell ungeheuer reiches Land, mit gewaltigen Erdöl- und Erdgasschätzen gesegnet. Es werde seine historischen Staatsanleihen wohl voll bedienen.

Und die Spekulation ging auf! Die Anleihen wurden tatsächlich zum ursprünglichen Nennwert samt Zins und Zinseszinz zurückgezahlt, und Kostolany machte einen Gewinn von sage und schreibe 6.000 Prozent! Es war das größte Geschäft mit Staatsanleihen, das je getätigt wurde – und ein schier überwältigender „Beweis“ für die geradezu naturwüchsige Sicherheit solcher Anleihen. Kostolany erwarb sich bei den Sparern rund um die Welt den Ruf eines unfehlbaren Finanzgurus, auf dessen Rat man sich hundertprozentig verlassen konnte.

Er selbst freilich wollte keineswegs ein „Guru“, ein „heiliger Mann“, sein, er wurde geradezu zornig, wenn man ihn als solchen titulierte. „Ich bin kein Guru“, rief er dann zornig, „ich bin ein ganz gewöhnlicher Spekulant, der auf leichte Art Geld verdienen will.“ Über sein Geschäft mit den zaristischen Staatsanleihen sprach er nie, schrieb auch nicht über sie in seinen Kolumnen. Nie empfahl er seinen Klienten, sich mit Staatsanleihen einzulassen, denn dort träfen die miesesten Schuldner und die abgefeimtesten Gläubiger aufeinander.

Seine Leser waren ganz überwiegend auf Sicherheit bedachte „echte Sparer“, über die einst der liebe Wilhelm Busch reimte: „Wer sparsam ist, denkt an das Morgen, / Die Zukunft macht ihm keine Sorgen. // Man kann des Lebens sich erfreun / Und dennoch klug und sparsam sein.“ In Hinblick auf Staatsanleihen, schrieb Kostolany einmal, klinge das heute nur noch wie Hohn oder wie schlechte Satire. Denn der moderne Staat denke nie und nimmer ans Sparen, er kenne einzig und allein das Schuldenmachen – und mache sich dennoch um die Zukunft nicht die geringsten Sorgen. Die Zukunft sei seine „bad bank“, wohin er alle Schulden risikolos auslagern könne.

So würden systematisch immer neue Schulden angehäuft, ohne auch nur einen einzigen Gedanken auf eventuelle spätere Tilgung zu verschwenden. Es reicht gerade noch zur Zinsbedienung; Zins und Zinseszins werden permanent den Altschulden zugeschlagen, und es akkumulieren sich allmählich derart riesige, jeden Begriff übersteigende Forderungspakete, daß sich selbst vielleicht nun schüchtern einsetzende staatliche Sparmaßnahmen wie eine Maus im Vergleich zum Elefanten ausnehmen. Die Staaten werden einer nach dem anderen zahlungsunfähig, gehen pleite.

Trotzdem werden immer weitere Angebote von Staatsanleihen aufgelegt, um – wie es heißt – „die Konjunkturpakete im Zuge der Finanzkrise“ zu finanzieren. Nur, die Banken als die Hauptgläubiger sind vielerorts ihrerseits pleite, da sie, wie wir spätestens seit 2007 wissen, in gigantischer und teilweise betrügerischer Manier herumgezockt und sich dabei monumental verspekuliert haben. Sie können und wollen keine Staatsanleihen mehr kaufen, sie haben das Geld nicht mehr dazu, der Staat soll ihnen helfen. Aber der Staat hat eben auch kein Geld mehr. Das Spiel ist aus.

Kostolany starb am 14. Sepember 1999. Er hat den Anbruch des 21. Jahrhunderts, das man wohl schon heute das Pleitejahrhundert nennen darf, nicht mehr erlebt. Pankraz läse allzu gern, wie der alte Erzspekulant und Nichtguru die gegenwärtige Lage kommentieren würde. Wahrscheinlich würde er im ersten Antrieb, genau wie seine Spekulationskollegen an der Wall Street und in der Londoner City, fürs ungenierte Drucken von neuem Geld durch die staatlichen oder (siehe EZB) quasi-staatlichen Notenpressen plädieren. Wofür sollen die Staaten denn sonst gut sein, wenn nicht fürs Drucken von immer neuem Geld!

Andererseits zeigte der Mann, zumindest in seinen Kolumnen, ein Herz für den „echten Sparer“ und dessen Sicherheitsbedürfnis. Eins seiner Augen strahlte einen warmen Glanz aus. Hoffentlich war es kein Glasauge.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen