© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

„Lange halt ich das nicht mehr durch“
Reportage aus den Fluten Thailands: Während die Menschen in Bangkok den Wassermassen trotzen, erobern sich Schlangen und Krokodile neuen Lebensraum
Hinrich Rohbohm

Die Fahrt endet mitten auf der Autobahn. „Ab hier sind Sie auf sich allein gestellt“, sagt der Taxifahrer. Aufgrund der Überschwemmungen kann er nicht weiterfahren. Seit mehr als einem Monat gleicht der Norden Bangkoks einer Seenlandschaft. Überschwemmte Straßen, in denen selbst Lkw nur mit Mühe vorankommen. Einwohner, die, mit selbstgebautem Ruder auf Styroporplatten über das Wasser schippernd versuchen, Hab und Gut aus ihren Wohnungen zu retten. Armeefahrzeuge bahnen sich ihren Weg durch die stinkige dunkle Brühe, evakuieren die Einwohner aus den überfluteten Gebieten.

Der regelmäßig im Mai beginnende und sich bis Anfang November hinziehende Monsun war in diesem Jahr besonders heftig, die Regenfälle so stark, daß Thailand die katastrophalsten Überschwemmungen seit fünfzig Jahren erlebte. Die Bilanz: 600 Tote, 2,3 Millionen Flutgeschädigte. Zwölf Prozent des Landes stehen unter Wasser, der Sachschaden beträgt 11,8 Milliarden Euro.

In Bangkok und 58 Provinzen wurde der Katastrophenalarm ausgerufen, die Hauptstadt mit einem 77 Kilometer langen Damm aus 1,7 Millionen Sandsäcken gesichert, um die drei Meter hohe Flut abzuwehren. Dennoch stehen der Norden und Westen Bangkoks unter Wasser. Das Zentrum blieb von der Flut verschont.

Eine Katastrophe, die auch Deutschland spüren wird. Computerfestplatten werden knapp, die Händlereinkaufspreise schießen in die Höhe. Der Grund: Ein Großteil der Festplatten wird im Flutgebiet produziert. Die Firma Western Digital (WD) wird dadurch in diesem Quartal 30 Millionen Festplatten weniger produzieren. Beim Konkurrenzunternehmen Seagate sind es zehn Millionen Festplatten weniger. Auch die Zulieferfirmen sind von der Katastrophe betroffen.

Im Zentrum stapeln sich vor den Eingängen der Geschäfte Sandsäcke. Einige Ladenbesitzer haben sogar Betonmauern errichtet, in der Hoffnung, ihr Geschäft trocken halten zu können. Doch Bangkoks Innenstadt blieb vom Wasser verschont. Marco hingegen hatte weniger Glück. Der 29jährige hatte vor zwei Jahren ein Restaurant in dem nördlichen Stadtteil Rangsit gekauft. Gemeinsam mit seiner thailändischen Frau bietet er seinen Gästen deutsche und einheimische Gerichte an. Im Obergeschoß hat er Apartments eingerichtet, die er an deutsche und niederländische Studenten der nahe gelegenen Universität vermietet. „Eines Nachts standen bei uns plötzlich Armee und Polizei vor der Tür“, erinnert er sich. „Das Wasser kommt, Sie müssen hier weg“, hatte es nur geheißen. Dann seien er und seine Frau evakuiert worden. Was aus seinem deutschen Nachbarn wurde, weiß er bis heute nicht. „Er hatte in Rangsit eine Bäckerei betrieben. Ich habe ihn bis heute nicht wiedergesehen.“ Die bei ihm einquartierten Studenten seien bereits zuvor abgereist, die Universität in Rangsit sei geschlossen worden. Die Campus-Gebäude dienen derzeit als Auffanglager für Flutopfer. Noch immer kämpfen sich Armeelastwagen durch die Fluten, bringen Lebensmittel in die Krisengebiete, evakuieren obdachlos gewordene Einwohner. „Für mich ist ein Traum zerbrochen“, sagt er.

Der gebürtige Kölner hatte sein gesamtes Vermögen in sein Restaurant gesteckt, hatte das Leben in Deutschland hinter sich lassen wollen. Die hohen Steuern, die Bürokratie, die „zunehmende Verstaatlichung und Bevormundung von Unternehmern, die etwas schaffen wollen“, das alles habe ihn schon länger gestört, meint er und steckt sich eine Zigarette an. Er raucht jetzt mehr in diesen Tagen, die Flut nimmt ihn mit. Die thailändische Regierung hat ihm einmalig 5.000 Baht an Finanzhilfe zukommen lassen, etwa 125 Euro. „Das war’s. Mehr gibt es nicht“, schildert er seine Situation. Die Versicherung zahle bei Naturkatastrophen nicht. Seine Frau hat Arbeit gefunden, sorgt als Kellnerin mit bescheidenem Einkommen derzeit für den gemeinsamen Lebensunterhalt.

Auf der Autobahn nach Norden Richtung Inlandsflughafen Don Muang ist ein Vorwärtskommen kaum möglich. Die Einwohner der Krisengebiete haben ihre Fahrzeuge hier abgestellt. Die Autobahn ist auf Betonpfeilern errichtet, liegt somit höher als die anderen Straßen. Doch die nobleren Karossen werden gelegentlich zur Beute von Autodieben. Weniger attraktive Fahrzeuge sind zu sehen, die aufgebrochen wurden, um darin abgelegtes Wohnmobiliar zu stehlen. „Plünderungen kommen momentan häufig vor“, sagt Max, ein Hotelchauffeur, der mit vollem Namen Jirakorn Vongvichai heißt und dessen im Westen Bangkoks befindliches Haus selbst von der Flut betroffen ist.

Max fährt einen Geländewagen, ein Vorteil in diesen Tagen. Er will durch die Fluten fahren, die überfüllte Autobahn umgehen. Doch das Militär hat die Zufahrtswege zu den tiefer gelegenen Straßen abgesperrt, läßt nur noch Anwohner in Ausnahmefällen passieren. Das Rollfeld des Don-Muang-Airports gleicht einem See. Flugzeuge stehen verlassen darin herum, von zahlreichen Autos ragen hier nur noch die Dächer aus dem Wasser.

Armee und Polizei patrouillieren in den überfluteten Gebieten, versuchen die Gegend vor Plünderern zu schützen. Anwohner legen mit Booten an trocken gebliebenen Straßenteilen an, klettern per Feuerleiter mit gerettetem Mobiliar auf die Autobahn, auf der inzwischen Tische, Bänke und Sonnenschirme aufgeklappt und Essen und Getränke gereicht werden. Hubschrauber kreisen in der Luft, werfen Hilfsgüter über den betroffenen Gebieten ab. Familien mit kleinen Kindern sind zu sehen, die sich auf Holzpaletten sitzend und mit provisorischem Ruder in der Hand auf der schwarzen, stinkenden Brühe fortbewegen.

Andere waten Barfuß und telefonierend durch das mit Krankheitserregern verseuchte Naß. Ein nicht ungefährliches Unterfangen. Der Untergrund ist nicht einsehbar, spitze, scharfe Gegenstände, durch die Flut unkontrolliert umhergespült, lauern ebenso im Wasser wie Schlangen und Krokodile. Durch die Überschwemmungen sind zahlreiche der Reptilien ins Freie gelangt. Schlangen- und Krokodilfarmen meldeten zahlreiche Tiere als vermißt. Unter anderem aus Afrika stammende Schwarze und Grüne Mambas, deren Gift für einen Menschen schon nach dreißig Minuten zum Tod führen kann. Durch Abflußrohre gelangen sie in die Häuser, nisten sich dort ein. In der trüben und vermüllten Brühe irren Krokodile umher. Zwei Menschen sind bereits durch Bisse verletzt worden.

Wasser spritzt an den Seiten seines Geländewagens empor, als sich Max im Zwielicht der rasch untergehenden Abendsonne seinem Haus nähert.Der Pegel ist bereits gesunken, Müll, Schmutz und ein stechender Gestank durchziehen die Gegend. Seine Familie hat Max zu den Großeltern ins nördliche Chiang Mai gebracht. Er selbst ist in Bangkok geblieben, lebt seit einem Monat im Hotel. „Lange kann ich das nicht mehr durchhalten“, erzählt er. Die Kosten sind hoch. Doch er muß bleiben, muß Geld verdienen. Er nutzt die Flut zum Überleben. Er chauffiert Leute zu den Überschwemmungsgebieten, organisiert Boote für sie, verdient sich so ein willkommenes Zubrot.

Inzwischen ist es dunkel geworden. Knietief durch das Wasser watend läßt Max seine Taschenlampe im Wohnzimmer umherkreisen, in dem Zeitschriften, Plastiktüten und Papier umherschwimmen. Die Elektrizität ist in diesem Wohngebiet abgeschaltet worden, die Gefahr von Stromschlägen ist zu groß. Max geht die Treppe zum Obergeschoß hoch, setzt sich auf die oberste Stufe. Ein Seufzer. Sein Gesichtsausdruck läßt sich in der Dunkelheit nur erahnen. Schweigen. Dann steht er auf, geht die Treppe hinunter, watet zurück zum Geländewagen, läßt den Motor an. „Das müssen wir nun eben wieder in Ordnung bringen“, sagt er entschlossen und gibt Gas.

 

Politische Folgen des Hochwassers

Die Überschwemmungen haben in Thailand den Konflikt zwischen Rot-hemden und Gelbhemden neu angeheizt. Die Rothemden werfen Bangkoks Bürgermeister Sukhumbhand Paribatra vor, durch den errichteten Schutzdamm die Hochwassersituation in den umliegenden Regionen zu verschärfen, da das Wasser nicht abfließen kann. Einige haben daher bereits versucht, den Damm zu zerstören. Paribatra gehört dem Lager der Gelbhemden an, deren Unterstützer aus Bangkoks Bürgertum und dem Militär kommen, während die Rothemden zumeist aus der Provinz stammen und Anhänger des im Exil lebenden Thaksin Shinawatra sind. Dessen Schwester ist seit der Wahl vom 3. Juli 2011 Premierministerin. Die Gelbhemden werfen ihr ein mangelhaftes Krisenmanagement vor. Zahlreiche Thais glauben, daß die Flut den Konflikt zwischen den Lagern neu entfachen wird.

Fotos: Verkehrsfunk unnötig: Eine der zahlreichen überfluteten Straßen im Norden Bangkoks; 1-A-Fortbewegung: Gelobt sei Eigeninitiative und Heimwerkerkunst

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