© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  50/11 / 09. Dezember 2011

Schwierige Risikoabwägung
Rechtsextremismus: Die Innenminister von Bund und Ländern bereiten einen erneuten Anlauf für ein NPD-Verbot vor
Michael martin

Es wird eng für die NPD. Bei der an diesem Donnerstag beginnenden Innenministerkonferenz in Wiesbaden könnte ein neues Verbotsverfahren gegen die rechtsextreme Partei auf den Weg gebracht werden. „Ja, wir wollen das Verbot auf den Weg bringen“, sagte am Montag Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD) dem Tagesspiegel. Die Innenminister der Länder und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wollen am Donnerstag beim traditionellen „Kamingespräch“ der Konferenz über den Ablauf beraten. „Wir werden sehr eingehend über das Thema sprechen. Ziel ist es, Kriterien aufzustellen, mit denen es gelingen kann, auch erfolgreich zu sein bei einem NPD-Verbotsverfahren“, sagte Friedrich. Deswegen müsse jetzt „sehr genau und sehr präzise“ geprüft werden, wie man ein solches Verbotsverfahren zum Erfolg führen kann.

Im März 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht das erste NPD-Verbotsverfahren wegen der hohen Zahl von V-Männern des Verfassungsschutzes in der Partei eingestellt. Das Gericht wies damals darauf hin, daß in den Jahren zuvor etwa 30 von 200 NPD-Vorstandsmitgliedern in Bund und Ländern für den Verfassungsschutz arbeiteten, also rund 15 Prozent. Diese „massive staatliche Präsenz auf den Vorstandsebenen“ der NPD wertete das Gericht als „nicht behebbares Verfahrenshindernis“. Die Zahl der V-Leute soll in den vergangenen Jahren sogar noch gestiegen sein. Experten vermuten, daß rund 100 Funktionäre der Partei auf der Lohnliste des Verfassungsschutzes stehen. Nicht nur aus diesem Grund gibt es auch kritische Stimmen, die befürchten, ein neuerliches Scheitern eines Verbotsverfahrens könnte der Partei einen Persilschein ausstellen. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, warnte in der Welt: „Die Politik ist dabei, wieder in eine unsägliche Falle hineinzulaufen. Das ist alles sehr, sehr unausgegoren.“ Auslöser der Debatte ist die jüngst aufgedeckte Mordserie, die einer Zwickauer Neonazi-Gruppe zugerechnet wird (siehe Seite 7). Zu den Unterstützern der Gruppe soll auch der mittlerweile inhaftierte Ex-NPD-Funktionär Ralf Wohlleben gehören. Weitere Verbindungen zur NPD könnten ein neues Verbotsverfahren erleichtern.

Allerdings herrscht angesichts der bekannten Durchsetzung der NPD mit V-Leuten auch Unbehagen. Wohlleben, der wie viele andere thüringische NPD-Größen aus dem „Heimatschutz“ entstammt, galt als Gefolgsmann Tino Brandts. Der war ebenfalls NPD-Funktionär und Gründer des Heimatschutzes. Finanzieren konnte er seine politischen Aktivitäten auch durch Mittel des Staates. Brandt war langjähriger V-Mann des Verfassungsschutzes. Deswegen warnt der gastgebende hessische Innenminister Boris Rhein vor Schnellschüssen. Man müsse das erst juristisch auf sichere Füße stellen und „nicht voreilig handeln“. Eine Arbeitsgruppe der Innenministerkonferenz prüfe derzeit die Risiken des Verbotsantrags. Die Ergebnisse solle man erst abwarten, plädierte Rhein.

Gegen die Innenministerkonferenz, die sich vor allem mit dem Rechtsextremismus auseinandersetzen will, formiert sich groteskerweise Protest von links. Mehrere Demonstrationen fordern ein uneingeschränktes Bleiberecht für Flüchtlinge, die Auflösung des Verfassungsschutzes sowie ein absolutes Verbot der Vorratsdatenspeicherung, die vor einem Jahr vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde. Friedrich erneuerte vor Beginn der Konferenz seine Forderung nach einer Neuregelung: „Wir sind weiter dran auch in dieser Frage“, sagte der CSU-Politiker. Bisher scheitert er mit seinen Plänen am Widerstand von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Statt alle Telefon- und Internetdaten ohne Verdacht auf Vorrat zu speichern, will die FDP-Politikerin die Daten erst bei einem konkreten Verdacht einfrieren lassen.

BKA-Chef Jörg Ziercke hat allerdings mehrfach darauf hingewiesen, daß die Telekommunikationsdaten des Zwickauer Trios und ihres Umfeldes bereits teilweise von den jeweiligen Dienstanbietern gelöscht worden sind, bevor die Polizei diese auswerten konnten. Durch eine Vorratsdatenspeicherung könnte dies in Zukunft vermieden werden.

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